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Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ...

Titel: Die Memoiren des Barry Lyndon - aus dem Königreich Irland, samt einem Bericht über seine ungewöhnlichen Abenteuer, Unglücksfälle, Leiden im Dienste Seiner Majestät des Königs von Preußen, seine Besuche an vielen europäischen Höfen, seine Heirat und ... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manesse-Verlag
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wo Nora die Ohnmächtige gespielt und ihr Taschentuch hatte liegen lassen; ich nahm es, verbarg mein Gesicht darin und brach derart heftig in Tränen aus, dass ich mich um nichts in der Welt jemandem hätte zeigen wollen. Das Bänderknäuel, das ich nach Quin geschleudert hatte, lag auf dem Weg, und ich saß stundenlang nur da; zu diesem Zeitpunkt, glaube ich, der elendeste Mann in Irland. Aber alles ändert sich fortwährend! Wenn wir bedenken, wie groß unser Kummer scheint und wie klein er ist , wie wir vor Gram zu sterben meinen und wie schnell wir vergessen, dürften wir uns unser
selbst und unseres wankelmütigen Herzens vermutlich schämen. Warum sollte uns die Zeit eigentlich Trost spenden wollen? Vielleicht bin ich im Laufe meiner vielfältigen Abenteuer und Erlebnisse nie auf die richtige Frau gestoßen, jedes einzelne angebetete Wesen habe ich nach kurzer Zeit vergessen; ich glaube jedoch, wenn ich nur die Richtige gefunden hätte, würde ich sie für immer geliebt haben.
    Ich muss wohl stundenlang auf der Gartenbank gesessen und mich bedauert haben, denn ich war bereits morgens nach Castle Brady gekommen, und erst die Essensglocke, die wie gewöhnlich um drei Uhr erscholl, weckte mich aus meiner Träumerei. Sogleich steckte ich das Taschentuch ein und nahm das Band wieder an mich.
    Als ich an den Nebengebäuden vorbeilief, sah ich des Hauptmanns Sattel noch immer über der Stalltür hängen und seinen Diener, dieses Scheusal im roten Rock, vor den Scheuermägden und dem Küchenvolk renommieren. «Der Engländer ist noch da, Master Redmond», sagte eine der Mägde zu mir (ein empfindsames dunkeläugiges Mädchen, das den jungen Damen aufwartete). «Er sitzt dort im Speisesaal, das feinste Kalbsfilet vor sich; gehen Sie hinein und
lassen Sie sich von ihm nicht einschüchtern, Master Redmond.»
    Und ich ging hinein, nahm wie gewöhnlich meinen Platz am unteren Ende der großen Tafel ein, und mein Freund, der Butler, brachte mir schnell ein Gedeck.
    «Hallo, Reddy, mein Junge!», sagte mein Onkel.«Alles wohlauf? Recht so.»
    «Er wäre besser zu Hause bei seiner Mutter», grollte meine Tante.
    «Kümmere dich nicht um sie», sagte Onkel Brady. «Die kalte Gans zum Frühstück ist ihr nicht bekommen. Trink ein Glas Wein auf Redmonds Wohl, Mrs Brady.» Offensichtlich wusste er nicht, was vorgefallen war, aber Mick, der auch am Tisch saß, Ulick und fast alle Mädchen schauten überaus finster drein und der Hauptmann töricht, und Miss Nora, wieder an seiner Seite, schien den Tränen nah. Hauptmann Fagan saß da und lächelte, und ich blickte kalt wie ein Stein. Ich fürchtete, an dem Essen zu ersticken, war jedoch entschlossen, zu allem eine gute Miene zu machen; als der Tisch abgedeckt war, füllte ich wie die anderen mein Glas nach, und wir tranken auf den König und die Kirche, wie es Gentlemen geziemt. Mein Onkel war allerbester Laune und scherzte besonders ausdauernd
mit Nora und dem Hauptmann. «Nora, teil das Gabelbein 75 mit dem Hauptmann! Mal sehen, wer als Erster heiratet.» –«Jack Quin, mein Lieber, warten Sie nicht auf ein sauberes Glas für den Rotwein, wir sind in Castle Brady etwas knapp mit Gläsern; nehmen Sie das von Nora, der Wein schmeckt daraus nicht schlechter», und so weiter. Er war allerbester Laune – ich wusste nicht, warum. Hatte es zwischen dem treulosen Mädchen und ihrem Liebhaber eine Versöhnung gegeben, seit sie ins Haus gekommen waren?
    Bald erfuhr ich die Wahrheit. Gewöhnlich zogen sich die Damen beim dritten Trinkspruch zurück, aber diesmal hielt mein Onkel sie fest, trotz der Vorhaltungen von Nora, die sagte: «Ach Pa, lass uns doch gehen!» Er sagte: «Nein, Mrs Brady und die jungen Damen, wenn ich bitten darf; dies ist jetzt ein Trinkspruch, wie er in meiner Familie allzu selten ausgebracht wird, und ihr werdet ihn bitte in allen Ehren erwidern. Ich trinke auf Hauptmann und Mrs John Quin und wünsche ihnen ein langes Leben. Sie dürfen sie küssen, Jack, Sie Spitzbube; Sie haben da wirklich einen Schatz!»
    «Dabei hat er … », kreischte ich und sprang auf.

    «Halt den Mund, du Narr – halt den Mund!», sagte der große Ulick, der neben mir saß; aber ich wollte nicht hören.
    «Dabei hat er», schrie ich, «eine Ohrfeige erhalten heute Morgen, Hauptmann John Quin; dabei hat er sich Feigling nennen lassen, Hauptmann John Quin; und so trinke ich auf sein Wohl. Auf Ihr Wohl, Hauptmann John Quin!» Mit diesen Worten schüttete ich ihm ein Glas Rotwein ins

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