Die Memoiren des Sherlock Holmes Bd. 2
gut! Ist ja gut!« sagte Holmes beruhigend und tätschelte ihm die Schulter. »Das war kein guter Einfall, es Ihnen so beizubringen. Aber Watson wird Ihnen bestätigen, daß ich der Versuchung, Dinge ein bißchen dramatisch aufzuzäumen, nie widerstehen kann.«
Phelps ergriff seine Hand und küßte sie. »Gott segne Sie!« rief er. »Sie haben meine Ehre gerettet!«
»Wissen Sie, meine eigene Ehre stand auf dem Spiel«, sagte Holmes. »Ich versichere Ihnen: Mir ist es genauso verhaßt, in einem Fall zu versagen, wie Ihnen, über einen Auftrag zu stolpern.«
Phelps barg das kostbare Dokument in der innersten Rocktasche. »Ich habe nicht das Herz, Sie noch länger von Ihrem Frühstück abzuhalten, aber ich sterbe vor Neugier, wie Sie an das Schriftstück gekommen sind und wo es versteckt war.«
Holmes nahm einen Schluck vom Kaffee und wandte sein Interesse danach den Eiern mit Schinken zu. Dann stand er auf, setzte seine Pfeife in Brand und machte es sich in seinem Sessel bequem.
»Erst einmal erzähle ich Ihnen, was ich angepackt habe, später auch, wie ich daraufgekommen bin«, sagte er. »Nachdem ich Sie am Bahnhof verlassen hatte, unternahm ich einen bezaubernden Spaziergang durch die wunderschöne Gegend von Surrey bis zu einem netten Dörfchen, das Ripley heißt. Dort trank ich in einem Gasthaus meinen Tee und füllte vorsichtshalber meine Flasche und steckte mir ein Paket Butterbrote in die Tasche. Ich blieb bis zum Abend; dann machte ich mich wieder auf den Weg nach Woking und war kurz nach Sonnenuntergang auf der Landstraße gerade gegenüber von Briarbrae.
Nun denn, ich wartete, daß die Straße leer würde – sie war zu keiner Zeit sehr bevölkert –, und stieg dann über den Zaun in das Grundstück ein.«
»Sicherlich stand doch das Tor offen«, unterbrach Phelps.
»Ja, aber in solchen Dingen habe ich einen eigenen Geschmack. Ich wählte mir dazu die Stelle, wo die drei Tannen stehen, und in ihrem Schutz gelangte ich über den Zaun, ohne daß jemand vom Haus her die geringste Möglichkeit gehabt hätte, mich zu entdecken. Drüben angekommen, duckte ich mich zwischen die Büsche und kroch von einem zum anderen – sehen Sie sich nur den schandbaren Zustand meiner Hose an! –, bis ich den großen Rhododendronbusch nahe bei Ihrem Schlafzimmer erreicht hatte. Dort hockte ich mich hin und wartete ab, wie sich die Dinge entwickeln würden.
In Ihrem Zimmer waren die Läden nicht geschlossen, und so konnte ich Miss Harrison sehen, wie sie am Tisch saß und las. Viertel nach zehn schlug sie das Buch zu, verriegelte die Läden und zog sich zurück. Ich hörte, wie sie die Tür schloß, und glaube auch ganz sicher, daß sie den Schlüssel herumgedreht hat.«
»Den Schlüssel?« rief Phelps.
»Ja, ich hatte Miss Harrison die Anweisung gegeben, die Tür von außen abzuschließen und den Schlüssel mitzunehmen, wenn sie zu Bett ging. Sie hat alle meine Anweisungen einschließlich der letzten ausgeführt, und sicherlich hätten Sie ohne ihre Mitarbeit das Dokument jetzt nicht in der Tasche. Sie verließ also den Raum, die Lichter erloschen, und ich hockte in dem Rhododendronbusch.
Es war eine schöne Nacht, und doch war es eine sehr mühsame Nachtwache. Natürlich lag in ihr etwas von der Erregung, die der Sportsmann empfindet, wenn er neben der Strecke liegt und auf den Beginn der Regatta wartet. Die Zeit wurde lang, fast so lang, Watson, wie damals, als wir in jenem todbringenden Zimmer eingeschlossen waren, um ein bißchen Licht in den Fall mit dem ›gefleckten Band‹ zu bringen. Unten in Woking gibt es eine Kirchturmuhr, die schlug auch die Viertelstunden, und mehr als einmal glaubte ich, sie müsse stehengeblieben sein. Schließlich aber, gegen zwei Uhr morgens, hörte ich plötzlich, wie ganz leise ein Riegel zurückgeschoben wurde, und danach das Knarren eines Schlüssels. Einen Au genblick später öffnete sich der Dienstboteneingang, und Mr. Joseph Harrison trat ins Mondlicht hinaus.«
»Joseph!« stieß Phelps hervor.
»Er war barhaupt, hatte aber einen schwarzen Mantel um die Schultern geworfen, so daß er im Nu sein Gesicht verbergen konnte, wenn jemand Alarm schlagen sollte. Im Schatten der Mauer ging er auf Zehenspitzen, und als er das Fenster erreicht hatte, fuhr er mit einem langen Messer in eine Fensterritze, hob den Haken hoch und machte das Fenster auf. Dann führte er das Messer in einen Spalt zwischen den Läden, löste den
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