Die Menschenleserin
verziehen. »Was soll das heißen, Sie haben nur ›Mädchenflügel‹ gesagt, Bart? Sie haben das allen Ernstes gesagt ?«
Der Mann drohte, er würde sich in Sacramento beschweren, aber er blieb nicht lange genug beim CBI, um die Sache durchzufechten. Ironischerweise übernahmen die vier betroffenen Damen den Spitznamen, sofort nachdem der Urheber die Behörde verlassen hatte, und mittlerweile war ihr Flur bei allen Kollegen als der »MF« bekannt.
Kathryn Dance kam in diesem Moment den schmucklosen Gang herunter.
»Maryellen, hallo.«
»Oh, Kathryn, das mit Juan tut mir so leid. Wir wollen eine Sammlung organisieren. Wissen Sie, wohin das Geld nach dem Wunsch seiner Eltern gehen sollte?«
»Michael wird uns Bescheid geben.«
»Ihre Mutter hat angerufen. Sie kommt später mit Wes und Maggie vorbei, falls das okay ist.«
Dance sorgte dafür, dass sie ihre Kinder so oft wie möglich zu sehen bekam, auch während der Arbeitszeit, falls ein Fall viel Aufwand erforderte und sie Überstunden machen musste. »Gut. Wie sieht’s bei Davey aus?«
»Die Angelegenheit wird geregelt«, sagte die Frau entschlossen. Davey war Maryellens Sohn und in Wes’ Alter. Er hatte in der Schule Probleme mit einer Bande von Gleichaltrigen bekommen. Maryellen konnte sich bei ihren Worten nun ein schadenfrohes Lächeln nicht verkneifen, was Dance verriet, dass drastische Maßnahmen ergriffen worden waren, um die Übeltäter auf andere Schulen zu versetzen oder anderweitig unschädlich zu machen.
Kathryn glaubte, dass Maryellen Kresbach einen großartigen Cop abgegeben hätte.
In ihrem Büro warf sie ihre Jacke auf einen Stuhl, rückte die sperrige Glock zurecht und setzte sich. Dann sah sie ihre E-Mails durch. Nur eine war für den Fall Pell von Bedeutung. Der Bruder, Richard Pell, hatte aus London geantwortet.
Officer Dance:
Die hiesige amerikanische Botschaft hat Ihre E-Mail an mich weitergeleitet. Ja, ich habe von dem Ausbruch gehört; es gab hier in den Nachrichten eine entsprechende Meldung. Das letzte Mal Kontakt zu meinem Bruder hatte ich vor zwölf Jahren, als er meine Frau und mich in Bakersfield besucht hat. Zur selben Zeit war die dreiundzwanzigjährige Schwester meiner Frau aus New York bei uns zu Gast. Eines Samstags erhielten wir einen Anruf von der Polizei: Man habe die Schwester verhaftet; sie sei in einem Juweliergeschäft in der Innenstadt beim Diebstahl erwischt worden.
Die junge Frau hatte ihr Studium mit Auszeichnung abgeschlossen und war ehrenamtlich für ihre Kirche tätig. Vor diesem Zwischenfall war sie in ihrem ganzen Leben noch nie in Schwierigkeiten geraten.
Wie sich herausstellte, hatte sie einige Zeit mit meinem Bruder verbracht und sich irgendwie von ihm überreden lassen, »ein paar Dinge« zu stehlen. Ich habe sein Zimmer durchsucht und dort Waren im Wert von fast zehntausend Dollar gefunden. Meine Schwägerin erhielt eine Bewährungsstrafe, und meine Frau hätte mich beinahe deswegen verlassen.
Danach hatte ich nie mehr mit ihm zu tun und habe nur noch ein Mal von ihm gehört. 1999, nach den Morden in Carmel, habe ich beschlossen, mit meiner Familie nach Europa zu ziehen.
Falls er sich mit mir in Verbindung setzt, werde ich es Sie umgehend wissen lassen, wenngleich ich das für unwahrscheinlich halte. Die Beziehung zu meinem Bruder lässt sich am besten so beschreiben: Ich habe mich an die London Metropolitan Police gewandt, und ein Beamter bewacht nun mein Haus.
So viel zu diesem Thema.
Dances Mobiltelefon klingelte. Der Anrufer war Morton Nagle. »Er hat noch jemanden getötet?«, fragte er bestürzt. »Ich habe gerade die Nachrichten gesehen.«
»Leider ja.« Sie schilderte ihm die Einzelheiten. »Und Juan Millar ist gestorben, der Beamte, der die Verbrennungen erlitten hat.«
»Es tut mir so leid. Gibt es irgendwelche Fortschritte?«
»Nicht wirklich.« Dance erzählte ihm, dass sie mit Rebecca und Linda gesprochen hatte. Einige der so gewonnenen Informationen könnten sich als hilfreich erweisen, aber nichts davon führte sie direkt zu Pell. Nagle war bei seinen Recherchen weder auf den Begriff »Hauptgewinn« noch auf einen »Berggipfel« gestoßen.
Er selbst hatte auch etwas zu vermelden, aber ebenfalls nichts Erfreuliches. Er hatte mit Theresa Croytons Tante gesprochen, doch sie weigerte sich, ihn oder die Polizei zu dem Mädchen vorzulassen.
»Sie hat mir gedroht.« Er klang bekümmert, und Dance war sich sicher, dass seine Augen derzeit nicht funkelten.
»Wo sind
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