Die Menschenleserin
jemandem dort getroffen?«
»Ich weiß es nicht. Kann sein.«
»Tare, was waren das für Leute? Die, mit denen er sich getroffen hat?«
Sie zuckte die Achseln.
»Waren das andere Frauen?«
»Nein.«
»Sind Sie sicher?«
Theresa schwieg und sah überallhin, nur nicht zu Dance. »Vielleicht«, sagte sie schließlich. »Einige, ja.«
»Und Sie glauben, das könnten seine Freundinnen gewesen sein?«
Sie nickte. Und weinte wieder. »Und...«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Was, Tare?«
»Er sagte, wenn wir nach Hause kommen und Mom uns fragt, sollen wir erzählen, dass er die ganze Zeit bei uns gewesen ist. Weil sie sonst sauer werden würde, dass er gearbeitet hat, anstatt sich zu amüsieren.« Sie war jetzt noch mehr errötet.
Dance erinnerte sich, dass Reynolds angedeutet hatte, Croyton sei ein Schürzenjäger gewesen.
Den zitternden Lippen des Mädchens entschlüpfte ein bitteres Lachen. »Ich habe ihn gesehen. Brenda und ich sollten auf der Promenade bleiben, aber wir sind zu einer Eisdiele auf der anderen Seite der Beach Street gegangen. Und da hab ich ihn gesehen. Eine Frau stieg gerade in seinen Wagen, und er hat sie geküsst. Und sie war nicht die einzige. Später habe ich ihn mal mit einer anderen gesehen, wie er in ihre Wohnung oder ihr Haus am Strand mitgegangen ist. Deshalb wollte ich nicht, dass er dorthin fährt. Ich wollte, dass er zu Hause bleibt und bei Mommy und uns ist. Er sollte bei keiner anderen sein.« Sie wischte sich das Gesicht ab. »Also habe ich gelogen«, sagte sie einfach. »Ich hab so getan, als wäre ich krank.«
Demnach hatte er sich in Santa Cruz mit seinen Geliebten getroffen – und die eigenen Kinder dazu benutzt, den Verdacht seiner Frau zu zerstreuen. Vor Ort hatte er die drei dann sich selbst überlassen, bis er und seine jeweilige Freundin fertig gewesen waren.
»Und dann wurde meine Familie ermordet. Und ich war schuld.«
Dance beugte sich vor. »Nein, nein, Tare«, sagte sie. »Es war überhaupt nicht Ihre Schuld. Wir sind uns ziemlich sicher, dass Daniel Pell geplant hat , Ihren Vater zu töten. Das war kein Zufall. Falls er an dem besagten Abend niemanden angetroffen hätte, wäre er weggegangen und zurückgekommen, wenn Ihr Vater zu Hause gewesen wäre.«
Sie wurde still. »Ja?«
Dance war durchaus nicht davon überzeugt. Aber sie konnte keinesfalls zulassen, dass dieses Mädchen weiterhin mit einer so schrecklichen Bürde der Schuld lebte. »Ja.«
Dieser vorsichtige Trost ließ Theresa ruhiger werden. »Dumm.« Sie war verlegen. »Es ist alles so dumm. Ich wollte Ihnen dabei helfen, ihn zu fangen. Und dann komme ich her und benehme mich wie ein Baby.«
»Oh, wir kommen gut weiter«, versicherte Dance und ließ sich einige interessante Gedanken durch den Kopf gehen, die ihr soeben gekommen waren.
»Wirklich?«
»Ja... Mir sind sogar gerade erst ein paar neue Fragen eingefallen. Ich hoffe, Sie werden mir mit denen auch weiterhelfen können.« In diesem Moment gab Dances Magen ein unverkennbares – und sehr gelegen kommendes – Knurren von sich. Sie lachten beide, und Kathryn fügte hinzu: »Vorausgesetzt, wir können hier irgendwo zwei Eiskaffee und ein oder zwei Stück Kuchen auftreiben.«
Theresa wischte sich über die Augen. »Das wäre prima, ja.«
Dance rief Rey Carraneo an und schickte ihn zu Starbucks. Dann führte sie noch ein Telefonat, diesmal mit TJ. Sie bat ihn, im Büro zu bleiben; es würde vermutlich eine Änderung des weiteren Ablaufs geben.
Von A nach B nach X...
...Achtundvierzig
Daniel Pell hatte ein Stück oberhalb der Zufahrt zum Point Lobos Inn geparkt, damit die Wachposten ihn nicht sehen konnten, und starrte angestrengt auf die Lücke zwischen den Zypressen. »Komm schon«, murmelte er.
Und dann, nur wenige Sekunden später, kam sie tatsächlich. Rebecca eilte mit ihrem Rucksack durch das Unterholz. Sie stieg in den Wagen und küsste Pell.
Dann lehnte sie sich zurück. »Scheißwetter«, sagte sie, grinste und küsste ihn noch einmal.
»Hat dich auch niemand gesehen?«
Sie lachte. »Ich bin aus dem Fenster geklettert. Die glauben, ich sei früh zu Bett gegangen.«
Er ließ den Wagen an, und sie bogen auf den Highway ein.
Dies war Daniel Pells letzter Abend auf der Monterey Halbinsel – und in gewisser Weise seine letzte Nacht auf Erden. Später würden sie ein anderes Auto stehlen – einen Geländewagen oder Pick-up – und nach Nordkalifornien fahren. Dort würden sie einigen gewundenen,
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