Die Menschenleserin
nach dem Anruf, der nun etwa vierzig Minuten zurücklag. Die Frau am anderen Ende erklärte, sie könne sich gut daran erinnern. Ein Mann aus Missouri, der nach Westen unterwegs war, hatte wissen wollen, wie hoch die wöchentliche Stellplatzgebühr für ein kleines Wohnmobil sein würde.
»Hat zu der Zeit noch jemand angerufen?«
»Meine Mutter und zwei der Gäste hier, die sich über ein paar Kleinigkeiten beschwert haben. Das war alles.«
»Hat der Mann gesagt, wann er eintreffen würde?«
»Nein.«
Dance bedankte sich und bat die Frau, sie sofort zu verständigen, falls der Mann sich noch einmal meldete. Dann setzte sie O’Neil und TJ über den Inhalt des Gesprächs in Kenntnis und rief die Utah State Police an. Sie kannte den Captain in Salt Lake City und schilderte ihm die Situation. Die USP würde sofort ein Überwachungsteam zu dem Campingplatz schicken.
Dance schaute zu dem bedrückten Kurierfahrer, der wieder zu Boden starrte. Der Mann würde für den Rest seines Lebens mit dem erlittenen Schrecken leben müssen – wobei ihm womöglich nicht so sehr die Entführung zu schaffen machte als vielmehr die entwürdigende Übereinkunft mit Pell.
Sie dachte an Morton Nagle; Billy war mit dem Leben davongekommen, zählte nun aber dennoch zu Daniel Pells Opfern.
»Soll ich Overby von Utah erzählen?«, fragte TJ. »Er wird wollen, dass alle Behörden verständigt werden.«
In diesem Moment klingelte Dances Telefon. »Warte noch«, wies sie ihren Kollegen an und nahm das Gespräch entgegen. Es war der Computerspezialist aus der Strafanstalt Capitola. Der junge Mann berichtete aufgeregt, dass es ihm gelungen war, eine der Internetseiten zu finden, die Pell besucht hatte. Sie hatte mit der »Helter-Skelter«-Suche zu tun.
»Das war ganz schön gerissen«, sagte der Mann. »Ich glaube nicht, dass es ihm um den eigentlichen Begriff gegangen ist. Er hat ihn nur benutzt, um ein Forum zu finden, das sich um Verbrechen und Morde dreht. Es nennt sich ›Manslaughter‹ – ›Totschlag‹. Dort gibt es verschiedene Unterforen, je nach Art des Verbrechens. Das für Serienmörder heißt ›Der Bundy-Effekt‹. Sie wissen schon, nach Ted Bundy. ›Helter Skelter‹ hat Kultmörder zum Thema. Ich habe eine Nachricht gefunden, die am Samstag hinterlassen worden ist, und ich schätze, sie war für ihn bestimmt.«
»Und er hat nicht direkt die Adresse › Manslaughter.com ‹ eingegeben, damit wir die Seite nicht finden würden, falls wir den Computer überprüfen«, sagte Dance.
»Richtig. Stattdessen hat er die Suchmaschine benutzt.«
»Clever. Können Sie herausfinden, wer die Nachricht hinterlassen hat?«
»Nein, die betreffende Person ist anonym geblieben. Man kann es unmöglich zurückverfolgen.«
»Und was stand dort?«
Er las ihr die kurze Botschaft vor, die nur aus wenigen Zeilen bestand. Sie war ganz eindeutig für Pell bestimmt gewesen, denn sie enthielt letzte Einzelheiten zu der Flucht. Am Ende hatte der Verfasser noch etwas hinzugefügt. Dance schüttelte den Kopf. Es ergab keinen Sinn.
»Verzeihung, könnten Sie das bitte wiederholen.«
Er kam der Aufforderung nach.
»Okay«, sagte Dance. »Haben Sie vielen Dank. Und schicken Sie mir bitte eine Kopie der Nachricht.« Sie nannte ihm ihre E-Mail-Adresse.
»Falls ich noch etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.«
Dance unterbrach die Verbindung, stand einen Moment lang schweigend da und dachte über den Wortlaut der Botschaft nach. O’Neil bemerkte ihre sorgenvolle Miene, verschonte sie aber mit Fragen.
Kathryn überlegte und kam dann zu einem Entschluss. Sie rief Charles Overby an und berichtete ihm von dem Campingplatz in Utah. Ihr Chef war hocherfreut.
Danach ging sie noch einmal das Gespräch durch, das sie und Eddie Chang über das imaginäre Rendezvous mit Daniel Pell geführt hatten. Sie rief Rey Carraneo an und erteilte ihm einen weiteren Auftrag.
Der junge Kollege war hörbar irritiert. »Äh, na klar, Agent Dance«, sagte er verunsichert. »Glaube ich zumindest.«
Sie konnte es ihm nicht verübeln; die Aufgabe war, gelinde gesagt, unorthodox. Dennoch ermahnte sie ihn: »Sputen Sie sich.«
»Hä?«
Anscheinend kannte er den Ausdruck nicht. »Machen Sie schnell!«
... Vierzehn
»Wir nehmen Sandbutt.«
»Einverstanden«, sagte Jennie. »Was ist das?«
»Ein kleiner Fisch. Wie Sardellen, aber nicht salzig. Sandwiches, bitte. Ich möchte zwei. Du auch?«
»Mir reicht eines, Schatz.«
»Tu nachher Essig drauf. Der steht
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