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Die Menschenleserin

Die Menschenleserin

Titel: Die Menschenleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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der Crown Victoria angelassen wurde und wegfuhr. Die beiden Dosen standen nun zweifellos zwischen Stemples mächtigen Oberschenkeln.
    Kathryn schaute durch die schmutzigen Fenster ins Wohnzimmer. Ihr Blick fiel auf ein Buch, das dort auf dem Couchtisch lag. Es erinnerte sie an etwas. »He, hat Brian angerufen?«
    »Ach, dein Freund? Der neulich zum Abendessen da war?«
    »Richtig.«
    »Wie war doch gleich sein Nachname?«
    »Gunderson.«
    »Der Investmentbanker.«
    »Genau der. Hat er angerufen?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Willst du die Kinder fragen?«
    »Nein, schon in Ordnung. Nochmals vielen Dank, Dad.«
    »Gern geschehen.« Er drehte den Kopf und klopfte ans Fenster. »Tschüs!«
    »Opa, warte!« Maggie kam mit wehendem kastanienbraunem Zopf nach draußen gelaufen. Sie hielt ein Buch in der Hand. »Hallo, Mom«, sagte sie fröhlich. »Wann bist du nach Hause gekommen?«
    »Gerade eben.«
    »Du hast ja gar nichts gesagt !«, rief die Zehnjährige und schob sich die Brille ein Stück höher die Nase hinauf.
    »Wo ist dein Bruder?«
    »Keine Ahnung. In seinem Zimmer. Wann gibt’s Abendessen?«
    »In fünf Minuten.«
    »Und was essen wir?«
    »Das wirst du schon sehen.«
    Maggie hielt das Buch ihrem Großvater hin und zeigte auf eine kleine, gedrehte grauviolette Muschelschale. »Sieh mal. Du hattest recht.« Maggie versuchte gar nicht erst, die Worte auszusprechen.
    »Eine Amphissa columbiana«, sagte er, zückte Stift und Notizblock, die er immer dabeihatte, und schrieb sich etwas auf. Er war drei Jahrzehnte älter als seine Tochter und benötigte keine Brille. Die meisten ihrer genetischen Veranlagungen hatte sie von ihrer Mutter geerbt, wusste Dance.
    »Sie lässt sich mit den Gezeiten treiben und ist hier bei uns sehr selten«, sagte er zu Dance. »Aber Maggie hat eine gefunden.«
    »Die lag einfach da«, sagte das Mädchen.
    »Okay, dann fahr ich jetzt mal heim zu meinem Feldwebel. Sie macht Abendessen, und meine Anwesenheit wird gewünscht. Gute Nacht euch allen.«
    »Tschüs, Opa.«
    Ihr Vater stieg die Stufen hinunter, und Dance dankte wieder einmal dem Schicksal, Gott oder wem auch immer für diese gute, zuverlässige männliche Bezugsperson im Leben einer Witwe mit Kindern.
    Auf dem Weg in die Küche klingelte ihr Telefon. Rey Carraneo berichtete, dass der Thunderbird letzten Freitag vom Parkplatz eines vornehmen Restaurants am Sunset Boulevard in Los Angeles gestohlen worden sei. Es gebe keine Tatverdächtigen. Das LAPD werde den zugehörigen Bericht schicken, aber wie bei den meisten Autodiebstählen hätten keine Spuren sichergestellt werden können. Darüber hinaus sei es ihm nicht gelungen, das Hotel, Motel oder die Pension zu finden, in denen die Frau womöglich ein Zimmer gemietet hatte. »Es gibt unglaublich viele von diesen Läden«, gestand er.
    Willkommen auf der Monterey Halbinsel. »Wir müssen die Touristen ja schließlich irgendwo unterbringen, Rey. Bleiben Sie dran. Und grüßen Sie Ihre Frau von mir.«
    Dance fing an, das Abendessen auszupacken.
    Ein schlanker Junge mit sandfarbenem Haar betrat den Wintergarten neben der Küche. Er telefonierte. Obwohl erst zwölf Jahre alt, war Wes bereits fast so groß wie seine Mutter. Sie winkte ihn mit einem Finger zu sich heran, und er kam zu ihr. Dann küsste sie ihn auf die Stirn, und er zuckte nicht zurück. Was so viel hieß wie: »Ich habe dich sehr lieb, Mutter.«
    »Komm zum Ende«, sagte sie. »Wir essen jetzt.«
    »He, Alter, ich muss aufhören.«
    »Sag nicht ›Alter‹.«
    Der Junge legte auf. »Was gibt’s denn?«
    »Hühnchen...«, sagte Maggie unschlüssig.
    »Du magst Albertsons.«
    »Und was ist mit der Vogelgrippe?«
    Wes kicherte. »Weißt du denn gar nichts? Die kriegt man von lebenden Hühnern.«
    »Das hier hat mal gelebt«, entgegnete das Mädchen.
    Wes fühlte sich von seiner Schwester in die Ecke gedrängt. »Tja, aber es ist kein asiatisches Huhn.«
    »Hall- o . Die können fliegen. Und weißt du, wie man daran stirbt? Man kotzt sich zu Tode.«
    »Mags, nicht beim Essen!«, sagte Dance.
    »Aber es ist doch so.«
    »Ach, Hühner sind also Zugvögel, ja? Na bravo! Und hier bei uns gibt es keine Vogelgrippe. Sonst hätten wir längst davon gehört.«
    Neckereien zwischen Geschwistern. Aber es steckte noch etwas mehr dahinter, glaubte Dance. Ihr Sohn war nach wie vor zutiefst erschüttert über den Tod seines Vaters. Daher reagierte er empfindlicher auf das Thema »Tod« als die meisten Jungen seines Alters. Dance

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