Die Menschenleserin
Taschendieben geleitet hat. Das war Pell.«
»›Bitte, Sir, ich möchte noch mehr‹«, sagte Kellogg mit gespieltem Cockney-Akzent. Es war lausig. Dance lachte, und er zuckte die Achseln.
»Pell hat Bakersfield verlassen und ist nach San Francisco gegangen. Dort hat er mit ein paar Leuten herumgehangen und ist wegen einiger Kleinigkeiten hochgenommen worden, nichts Ernstes. Danach herrschte eine Weile Stille – bis er in Nordkalifornien im Rahmen einer Morduntersuchung festgenommen wurde.«
»Ein Mord?«
»Ja. Und zwar an einem gewissen Charles Pickering in Redding. Pickering war beim Bezirk angestellt. Man hat ihn in den Hügeln vor der Stadt erstochen, ungefähr eine Stunde nachdem er im Gespräch mit jemandem gesehen wurde, der wie Pell aussah. Ein ausgesprochen bösartiges Verbrechen. Es gab Dutzende von Schnitt-und Stichwunden. Aber Pell hatte ein Alibi – eine Freundin, die schwor, er sei zum Tatzeitpunkt bei ihr gewesen. Und es gab keine greifbaren Beweise. Die örtliche Polizei hielt ihn wegen Landstreicherei für eine Woche fest, musste ihn aber schließlich freilassen. Der Fall wurde nie aufgeklärt.
Dann gründete Pell seine sogenannte Familie in Seaside. Ein paar weitere Jahre mit Einbrüchen und Diebstählen. Einige tätliche Angriffe, eine oder zwei Brandstiftungen. Als ein in der Nähe wohnender Biker zusammengeschlagen wurde, gehörte Pell zu den Verdächtigen, aber der Mann wollte keine Anzeige erstatten. Ein oder zwei Monate später geschahen die Croyton-Morde. Von da an – nun ja, bis gestern – war er in Haft.«
»Was sagt das Mädchen?«
»Welches Mädchen?«
»Die Schlafpuppe . Theresa Croyton.«
»Was könnte sie schon wissen? Sie hat zum Zeitpunkt der Morde geschlafen. Das wurde festgestellt.«
»Wurde es?«, fragte Kellogg. »Von wem?«
»Von den zuständigen Ermittlungsbeamten, nehme ich an.« Er klang verunsichert. Anscheinend hatte er nie über diesen Punkt nachgedacht.
»Sie dürfte mittlerweile siebzehn sein«, sagte Dance. »Ich würde gern mit ihr reden. Sie könnte etwas wissen, das uns weiterhilft. Sie wohnt bei Onkel und Tante, richtig?«
»Ja, die beiden haben sie adoptiert.«
»Könnte ich die Telefonnummer haben?«
Nagle zögerte. Seine Augen huschten über die Tischplatte; sie hatten ihr Funkeln verloren.
»Gibt es da ein Problem?«
»Nun ja, ich habe der Tante versprochen, ich würde niemandem von dem Mädchen erzählen. Sie ist sehr um ihre Nichte besorgt. Sogar ich habe Theresa noch nicht getroffen. Anfangs wollte die Frau auf keinen Fall zulassen, dass ich mit ihr spreche. Ich glaube, ich könnte sie doch noch überreden, aber falls ich jetzt Ihnen die Telefonnummer verrate, wird sie wahrscheinlich nicht nur kein Wort mit Ihnen wechseln, sondern auch mich ab sofort mit Verachtung strafen.«
»Sagen Sie uns einfach die Adresse. Wir besorgen uns die Nummer bei der Auskunft. Ich werde Ihren Namen nicht erwähnen.«
Er schüttelte den Kopf. »Die Leute haben ihren Nachnamen geändert und sind aus der Gegend weggezogen. Sie hatten Angst, jemand aus Pells Familie könne es auf sie abgesehen haben.«
»Aber Sie haben Kathryn doch auch die Namen der Frauen genannt«, wandte Kellogg ein.
»Die standen im Telefonbuch oder in öffentlich zugänglichen Unterlagen. Sie hätten sich die Angaben auch selbst besorgen können. Bei Theresa, ihrer Tante und ihrem Onkel ist das etwas anderes.«
» Sie haben die drei trotzdem gefunden«, sagte Dance.
»Durch ein paar vertrauliche Quellen. Die nun, da Pell ausgebrochen ist, garantiert erst recht vertraulich bleiben möchten. Aber ich weiß, dass dies wichtig ist... Ich werd Ihnen sagen, was ich mache. Ich werde die Tante persönlich aufsuchen und ihr mitteilen, dass Sie mit Theresa über Pell sprechen wollen. Ich werde nicht versuchen, sie dazu zu überreden. Falls die drei Nein sagen, ist die Angelegenheit damit erledigt.«
Kellogg nickte. »Das ist alles, worum wir Sie bitten. Danke.«
Dance ließ den Blick über die Aufzeichnungen schweifen. »Je mehr ich über ihn erfahre, desto weniger weiß ich.«
Der Autor lachte, und das Funkeln kehrte wieder zurück. »Oh, Sie wollen wissen, was Daniel Pell antreibt?« Er wühlte in seiner Aktentasche, nahm einen Stapel Papiere heraus und schlug sie an einer gelb markierten Stelle auf. »Hier ist ein Zitat aus einem seiner Gespräche mit dem Gefängnispsychologen. Er war ausnahmsweise mal ehrlich.« Nagle las vor:
»Pell: Sie wollen mich analysieren, nicht wahr? Sie
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