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Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu

Titel: Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hideo Okuda
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letzten Endes doch an. Auf sich alleine gestellt, konnte er ohnehin nichts bewirken. Abgesehen davon war das wohl auf dem Land so üblich. Aus der Perspektive des Großstädters die Belange der Provinz zu diskutieren, war ein Zeichen für Überheblichkeit. Nur bei seiner eigenen Arbeit wollte er nicht schludern. Wenn Reformen nötig wären, würde er sie nach eigenem Ermessen in Angriff nehmen.
    Nach einer Weile bemerkte Ryōhei etwas Merkwürdiges. Die Rathausangestellten teilten sich ganz deutlich in zwei Gruppen. Cliquen gab es immer und überall, aber hier hatte der Antagonismus eine andere Dimension angenommen. Die Vertreter beider Lager mieden sich so grundsätzlich, als würden sie zu einer anderen Spezies gehören. Isoda von der Bauabteilung und Muroi von der allgemeinen Abteilung sprachen nicht einmal miteinander. Muroi schimpfte ohne Hemmungen über den Bürgermeister, der selbst wiederum seinen Verleumder keines Blickes würdigte. Es war, als würden zwei Jugendbanden miteinander in Fehde liegen.
    »Diese Insel befindet sich in einem Krieg. Zwischen Ogura und Yagi«, hatte ihm eine ältere Frau zugeflüstert, die Teilzeitkraft in der Rathauskantine war. Takeshi Ogura, dessen gesamte Familie ein Baugeschäft betrieb, war der gegenwärtige Bürgermeister, und Isamu Yagi, dessen Schwiegersohn als Chef einer Baufirma fungierte, war der ehemalige Bürgermeister.
    »Das geht jetzt schon seit sechzig Jahren so. Die beiden Bauunternehmen reißen sich dauernd um öffentliche Bauvorhaben«, meinte die Alte mit fröhlichem Gesicht weiter und gluckste mit wackelnden Schultern wie ein Zeichentrickfilmhund.

    Sie sagte ihm, dass schon seit der Nachkriegszeit der Posten des Bürgermeisters stets unter diesen beiden Familien ausgemacht worden sei. Bei jedem Amtswechsel wurden sofort die Machtverhältnisse von oben nach unten gekehrt.
    Unter einem Bürgermeister Yagi war Muroi Leiter der Bauabteilung und Isoda wurde zum Schulspeisungszentrum versetzt. Es gab in der Vergangenheit auch Beispiele, wie jemand vom stellvertretenden Bürgermeister zum Straßenreiniger degradiert wurde. Die Verteilung von Bauvorhaben blieb, wie auch gar nicht anders zu erwarten, in der eigenen Familie, und die Gegenseite musste sich mit Zulieferaufträgen zufriedengeben. Ein Ende dieser Vergeltungsmaßnahmen war auch in Zukunft nicht abzusehen.
    »Und keiner macht etwas dagegen?«, wunderte sich Ryōhei.
    »Ach, i wo, das ist doch schon Tradition, da kamma nix mache«, winkte die Alte ab, die im Übrigen zur Ogura-Fraktion gehörte. Der Grund dafür war ihr Mann, der als Fischer arbeitete und dessen Genossenschaft großzügig von Ogura unterstützt wurde, wie die Alte freimütig zugab.
    Nun begann bald auf dieser Insel die Wahl.
    »Hey, Miyazaki! Du glaubst doch nicht, nur weil de von den hohen Herrn aus Tokio geschickt wurd’st, dass de dich einfach raushalt’n kannst!«
    In der Kneipe O-Tafuku wurde Ryōhei von dem schon angetrunkenen Isoda am Ohr gezogen. Gerade als er auf dem Weg nach Hause war, hatte man ihn auf dem Parkplatz abgepasst und hergezerrt.
    »Ja, ja, die Tokioter ham keinen blassen Dunst vonner Wahl auf’ner abgelegenen Insel. Stimmenthaltung ist hier’ne andere Form von Wahlbetrug.«
    Tsudahara von der Fischereigenossenschaft starrte ihn mit roten Augen an. Obwohl Senju eigentlich Teil von Tokio war,
taten die Menschen hier so, als ob sie die Stadt nichts anging. Da sie durch das weite Meer getrennt waren, sahen sie sich selbst nicht als Stadtbewohner.
    »Ich habe doch gar nicht gesagt, dass ich mich enthalte«, erwiderte Ryōhei zaghaft.
    Schon über eine Stunde wurde er von allen Seiten bearbeitet.
    »Tja, wem gibst du dann deine Stimme? Unserm Ogura oder Yagi, dem alten Arsch?«
    »Da muss ich erst einmal hören, welche Politik die beiden vertreten, und werde dann den wählen, der mich am meisten überzeugt…«
    »Scheiß drauf!«
    Diesmal bekam er eine Kopfnuss von Direktor Iwata, der eine Baufirma betrieb und gleichzeitig Vorsitzender des Wahlfördervereins war.
    »Was soll’n das heißen? Politik …«
    »Gibt es etwa keine Politik?«
    »Du raffst wirklich gar nix. Unser Ogura bringt den Hafen auf Vordermann, und der Ascheimer Yagi baut’ne landwirtschafliche Versuchsanbaufläche. Das isses, und sonst nix. Was du red’st, ist doch Kinderkacke.«
    »Aber ich bitte Sie… Was wollen Sie denn von mir? Ich bin doch nur zwei Jahre hier und habe von Tuten und Blasen keine Ahnung.«
    »Interessiert doch kein Schwein.

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