Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
konzentrierte sich wieder auf das, wovon er mehr als jeder andere verstand. Er suchte den besten Weg, im Verborgenen durch die Stadt zu kommen, so wie er es früher zahllose Male getan hatte.
Irgendwann ließ er sie alle unter einer runden Luke in der Decke anhalten und gab ihnen zu verstehen, keinen Laut mehr von sich zu geben.
Er öffnete die Luke mit Darios Hilfe und kletterte hinauf. Oberhalb des Ausstiegs lag ein rundes Treppenhaus, das durch alle Stockwerke des Dogenpalastes führte. Die Stufen waren schmal und besaßen ein notdürftiges Geländer: ein paar Stangen, die einen alten Handlauf hielten. Früher waren über diese Wendeltreppe gelegentlich Verbrecher zur Aburteilung geführt worden, heute wurde sie nur noch selten genutzt. Der hohe Staub auf Boden und Geländer verriet, dass das letzte Mal lange zurücklag.
Serafin war ziemlich sicher, dass die Ägypter nichts von diesem Schacht wussten. Noch nicht. Die Leibgarde des Pharaos würde sich die Pläne des Palastes vornehmen, keine Frage, aber er bezweifelte, dass dazu schon genug Zeit gewesen war. Auch deshalb hatte der Anschlag so früh wie möglich stattfinden müssen, noch in dieser Nacht.
Er löste ein Seil von seinem Gürtel, befestigte es mit ein paar raschen Handgriffen am unteren Geländerpfosten und half den anderen beim Aufstieg. Er war gespannt, wie Lalapeja heraufkommen würde - vielleicht mit dem Sprung einer Raubkatze -, aber dann erklomm sie das Seil doch nur wie jeder andere, mit Händen und Füßen, wenn auch ein wenig müheloser als die Übrigen. Bei ihr sah es fast spielerisch aus, was ihr einmal mehr die Bewunderung der Jungen einbrachte. Am schwierigsten war der Aufstieg für Unke, die trotz aller Flinkheit keine Übung im Seilklettern hatte.
Lautlos und rasch liefen sie die Wendeltreppe hinauf. Die Gemächer des Pharaos befanden sich im oberen Stockwerk, aber Serafin war sich nur zu bewusst, dass er es sich nicht zu einfach machen durfte. Was sie dringend brauchten, war ein Vorteil, und den würden sie nicht auf dem kürzesten Weg erringen.
Er führte die Gruppe am Zugang der oberen Etage vorbei, noch höher hinauf, bis zum Ende der Treppe, wo die Stufen gegen eine Bohlentür stießen. Das Holz war vom Alter dunkel gefärbt, die Beschläge hatten Rost angesetzt.
Wie Serafin erwartet hatte, ließ sich die Tür mühelos öffnen. Die schwere Klinke, so lang wie sein Unterarm, gab mit einem Knirschen nach, der Flügel schwang langsam nach innen. Wortlos dirigierte Serafin seine Gefährten durch die Öffnung in dämmriges Halblicht.
Er hatte den anderen in der Enklave die genaue Route erklärt - allerdings nur bis zu diesem Treppenhaus. Den letzten Teil des Plans hatte er für sich behalten.
Doch auch so ahnte jeder, wo sie sich befanden - es gab nur einen Ort im Dogenpalast, der höher als das höchste Stockwerk lag. Hier oben, in den gefürchteten Bleikammern unter den Dächern, hatten in vergangenen Jahrhunderten viele tausend Gefangene ihr Leben gelassen, eingepfercht in winzige Zellen, im Winter halb erfroren, im Sommer der Hitze der sonnendurchglühten Bleidächer ausgesetzt; ebenso gut hätte man sie in Backöfen sperren können.
Jeder, selbst der ungebildetste Straßenjunge, kannte die Geschichten über das Elend der Gefangenen. Serafin wäre wohl genauso bedrückt gewesen wie die anderen, wäre dies sein erster Besuch hier oben gewesen. Zu Beginn seiner Diebeslaufbahn hatten er und ein paar Freunde sich einen Spaß daraus gemacht, unter der Nase der Stadtgarde im Dogenpalast herumzuschnüffeln.
»Hier oben können sie uns nicht hören«, sagte er zu den anderen. »Die Decken sind abgedichtet, wegen der Schreie, damals.«
»Was hast du vor?«, fragte Tiziano.
Serafin grinste, ehe Unkes finsterer Blick ihm ins Gedächtnis rief, dass dies kein Spiel war, wie damals, als er der Stadtgarde auf der Nase herumgetanzt war. »Wir dringen von oben in die Räume des Pharaos ein«, sagte er. »Das ist mit ziemlicher Sicherheit der einzige Weg, den sie nicht bewachen.«
Dario hob eine Augenbraue. »Mit ziemlicher Sicherheit?«
Serafin nickte.
»Und du meinst, keiner wird hören, wenn wir die Decke aufbrechen?«, fragte Boro. »Womit überhaupt? Mit bloßen Händen?«
»Nein«, sagte Serafin. »Es gibt hinter der Täfelung eine schmale Treppe, die von den Kerkern in den obersten Stock führt. Die Dogen haben den Geheimgang benutzt, wenn sie bei Folterungen zuschauen wollten, ohne selbst gesehen zu werden.«
Folterung war
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