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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wenig breiter. Sie sah umwerfend dabei aus.
    Ein erleichtertes Raunen ging durch die Gruppe der Jungen, aber Serafin blieb angespannt. »Ich kann den Zauber immer noch auf der Haut spüren.«
    »Das hat nichts zu bedeuten. Das sind nur Entladungen in der Luft, die entstehen, wenn zwei Zauber aufeinander treffen. Meiner auf ihren. Das Jucken, das ihr alle spürt, ist nur eine Nachwirkung des Zaubers, nicht der Zauber selbst.«
    Sie setzten ihren Weg fort, aber schon bald, irgendwo unter der Kirche San Gallo, in einem Säulengewölbe voller Spinnweben und vergessener Heiligenfiguren, hielt Serafin Unke zurück. In einem Rucksack aus hartem Leder trug sie die Spiegelmaske Arcimboldos bei sich. Serafin scheute sich, dem seltsamen Relikt zu nahe zu kommen, deshalb legte er seine Hand auf Unkes Unterarm, nicht auf ihre Schulter. Als sie langsamer wurde, zog er die Finger rasch zurück. Sie hielten jetzt ein paar Schritt Abstand zu den anderen.
    »Traust du ihr?«, flüsterte er.
    »Ja.« Bei jedem Atemzug spannte und wölbte sich das Tuch über dem Maul der Meerjungfrau, mehr noch, wenn sie sprach.
    »Ganz sicher?«
    »Sie ist Lalapeja.« Als wäre das Grund genug.
    »Du hast gewusst, dass sie eine Sphinx ist, nicht wahr? Von Anfang an.«
    »Ich sehe sie in ihrer wahren Gestalt. Sie kann mich nicht täuschen.«
    »Warum?«
    »Die Völker der Meerjungfrauen und der Sphinxe sind seit uralten Zeiten miteinander verwandt. Heute erinnert nicht mehr viel daran, aber vor vielen tausend Jahren gab es enge Bindungen. Wir Meerjungfrauen haben mit der Magie auch unsere Bedeutung und Macht verloren, während die Sphinxe - zumindest einige von ihnen - es verstanden haben, sich stets an neue Gegebenheiten anzupassen.«
    »So wie Lalapeja?«
    Unke schüttelte entschieden den Kopf. »Sie nicht. Sie ist seit langer Zeit das, was sie auch heute noch ist.«
    »Aber -«
    Sie ließ ihn nicht aussprechen. »Sie ist älter als die meisten anderen Sphinxe, auch wenn es für euch Menschen nicht so aussieht. Sie weiß, was früher war, und sie ehrt die alte Verwandtschaft. Sie war stets gut zu uns Meerjungfrauen.« Unke hielt einen Augenblick inne, dann sagte sie: »Sie hat uns einen geheimen Ort für unsere Toten gegeben.«
    Der Friedhof der Meerjungfrauen, dachte Serafin fasziniert. Eine uralte Legende. Niemand wusste, wo er sich befand. Viele hatten danach gesucht, aber er kannte keinen, der ihn gefunden hatte. »Lalapeja hat euren Friedhof angelegt?«
    Unke nickte. »Vor langer Zeit. Wir stehen in ihrer Schuld, auch wenn sie uns nie um etwas gebeten hat.«
    »Was tut sie in Venedig?«
    »Sie war schon hier, als es die Stadt noch nicht gab. Die Frage müsste lauten: Was tut die Stadt an einem Ort, der seit Jahrtausenden unter Lalapejas Schutz steht?«
    »Jahrtausende…« Serafin ließ das Wort auf der Zunge zergehen. Er warf einen Blick zu der Sphinx hinüber, zu der mädchenhaft jungen Frau, die an Darios Seite den Zug anführte.
    »Sie hat nie versucht, die Menschen zu vertreiben, obwohl das ihr Recht gewesen wäre«, sagte Unke. »Manche von uns sagen sogar, ihre Pflicht. Dies hier, diese Nacht, Serafin… dies ist das erste Mal, dass Lalapeja in das Schicksal Venedigs eingreift. Und sie wird ganz genau wissen, warum.«
    Serafin musterte die Meerjungfrau und hatte Mühe, ihrem stechenden Blick standzuhalten. »Du weißt es auch, oder?«
    Unkes Tuch erbebte, als sie mit ihrem Haifischmaul lächelte. »Vielleicht.«
    »Das ist nicht fair.«
    »Es gibt ein Wissen, das nicht für Menschen bestimmt ist. Aber glaub mir einfach, wenn ich dir sage, dass sie weiß, was sie tut.« Ihre Augen verengten sich. »Sie hat früher Fehler gemacht. Jetzt erfüllt sie ihre Bestimmung.«
    Serafin brannten tausend Fragen auf den Lippen, aber Unke ging wieder schneller, um die Spitze des Trupps zu erreichen. Er beeilte sich, um mit ihr Schritt zu halten.
    »Was ist sie? So eine Art Wächter?«
    »Frag sie selbst.«
    »Aber ein Wächter von was?«
    Unke deutete nach vorn. Widerwillig folgte er ihrem Blick und entdeckte, dass Lalapeja über ihre Schulter zu ihm zurückschaute. Sie lächelte, aber es wirkte traurig. Er wurde einfach nicht schlau aus ihr. Trotzdem stellte er für den Moment keine weiteren Fragen, auch dann nicht, als er wieder neben ihr ging und sich alle Mühe gab, sie nicht anzusehen. Wohl spürte er, dass sie hin und wieder zu ihm herüberblickte.
    Er setzte sich an die Spitze, ging allein ganz vorn, ein paar Schritt vor den anderen. Er

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