Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
stürmten Serafin und Dario vorwärts, über das Holz hinweg, hinaus in einen Saal, gefolgt von den anderen. Unke war neben ihnen, dann Tiziano, dahinter der Rest.
Augenblicklich stellten sich ihnen Mumienkrieger entgegen, als hätten sie nur auf die Eindringlinge gewartet. Die Mumien waren rechts und links vor einem geschlossenen Portal postiert, das in einen weiteren Saal führte. Die Torflügel waren mit Einlegearbeiten aus Blattgold verziert; sie schimmerten im Licht mehrerer Gaslampen. Es sah aus, als bewegten sich die Goldranken wie Schlangen über das Holz, ein verwirrendes Spiel der Reflexe.
Tiziano war der Erste, der einen Schuss auf einen der Mumienkrieger abfeuerte. Er traf ihn in die Schulter, doch erst ein zweiter Treffer in die Stirn hielt den Krieger auf.
Die Jungen feuerten jetzt aus allen Rohren. Boro musste dem Hieb eines Sichelschwertes ausweichen. Die Klinge streifte seinen Schädel und fetzte ihm ein Stück Haut vom Kopf. Sofort lief Blut über sein Gesicht, aber er wirbelte dennoch herum, legte an und schoss. Die Kugel ging fehl und schlug krachend in das goldene Portal. Dario war sofort neben ihm, holte aus und schlug dem Krieger den mumifizierten Schädel von den Schultern.
Serafin lief weiter zur nächsten Tür. Die erste Hürde war genommen.
In Windeseile war Unke wieder an seiner Seite. Er wollte das Portal aufstoßen, als ein Brüllen ertönte. Es drang durch den Haupteingang des Saals, der hinaus auf einen breiten Korridor führte. Die Verstärkung war unterwegs. Horuspriester, wenn sie Pech hatten. Oder, viel schlimmer, Sphinx-Kommandanten.
Serafin wartete nicht länger, rammte den rechten Flügel des Portals nach innen und sprang mit gezogenem Revolver hindurch. Er hatte keine Übung im Umgang mit Feuerwaffen, aber er hoffte, dass sein Talent - oder sein Glück - ausreichte, um den Pharao und seinen Wesir nicht zu verfehlen.
In der Mitte des zweiten Saals befand sich ein Diwan aus Jaguarfellen. Serafin konnte nur die Ränder ausmachen; das Zentrum wurde von vier Sphinxen verstellt, die ihm mit finsterer Miene entgegenblickten. Sie trugen gewaltige Sichelschwerter, viel größer als die der Mumienkrieger. Ihre Löwenleiber regten sich nicht, waren starr wie Statuen, nur einer wirbelte mit seinem Schwanz ein paar Fliegen beiseite.
Er verscheucht Fliegen, dachte Serafin schockiert, während es für uns hier draußen um unser Leben geht. So ernst nimmt er uns: nichts als ein Haufen Schmeißfliegen.
In diesem Augenblick verlor Serafin alle Hoffnung.
Es geschah ganz abrupt und ohne jede Warnung. Es hatte nichts mit der Gefahr durch die Sphinxe zu tun oder damit, dass sie die Rebellen offenbar erwartet hatten - (Verrat!) -, sondern nur mit diesem einen Schlenker des Löwenschweifs, dieser einen, winzigen, scheinbar unbedeutenden Geste.
Schmeißfliegen!, durchfuhr es ihn noch einmal. Nichts sonst.
Hinter ihm gellte ein Schrei, und aus den Augenwinkeln sah Serafin, wie ein Dutzend weiterer Mumienkrieger durch die zerborstene Tür drangen. Boro und Tiziano stellten sich ihnen entgegen, mit gewaltigen Hieben ihrer Säbel spalteten sie die Schädel der vorderen Krieger. Grauer Staub wogte auf und legte sich wie ein Dunstschleier über die Kämpfenden.
Ein sonderbares Gefühl von Zeitlosigkeit, von unerträglicher Langsamkeit überkam Serafin. Ihm war, als hätte sich der Kampf unter Wasser verlagert. Alle Bewegungen schienen ihm zäher, träger zu werden, und für einen Augenblick stieg ein Jubelschrei in ihm auf.
Lalapejas Magie! Endlich kam sie ihnen zu Hilfe!
Gleich darauf hätte ihn die Enttäuschung kaum härter treffen können. Es war kein Zauber. Keine magische List. Es war nur er selbst, seine Sinneswahrnehmung, die sich verlangsamte, als sein Geist sich für ein paar Herzschläge in einen Zustand tiefsten Schocks zurückzog. Schock - und brutale Erkenntnis.
Sie kämpften auf verlorenem Posten. Dario besiegte einen Mumienkrieger nach dem anderen, mit geradezu tänzerischer Leichtigkeit, doch er hatte keine Chance gegen die Übermacht. Früher oder später würde er dem Ansturm der Gegner unterliegen.
Serafin wehrte den Angriff eines Mumienkriegers ab, der plötzlich hinter ihm auftauchte. Nichts von alldem hatte jetzt noch den Beigeschmack von Wirklichkeit. Alles schien irreal, künstlich, einfach falsch, sogar sein eigener Kampf. Ihm war, als betrachtete er ihre Niederlage von außen, und so erkannte er endlich den Fehler, den sie begangen hatten, er selbst, und Unke und
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