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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dass Seth die Wahrheit gesagt haben könnte; dass das Volk der sprechenden Steinlöwen vom Imperium ausgelöscht worden war.
    Merle wandte sich erneut an die Fließende Königin: Glaubst du, dass es wahr ist?
    „Es wäre dem Imperium zuzutrauen."
    Aber die Löwen sind so stark ...
    „Das waren andere Völker auch. Und sie waren zahlreicher als die letzten freien Löwen. Trotzdem wurde jedes einzelne von ihnen niedergemacht oder versklavt."

    Merle blickte aus dem Fenster. Für wen kämpften sie eigentlich, wenn es dort draußen in der Welt niemanden mehr gab? Auf absurde Weise verband sie das mit dem Pharao: Sie alle trugen einen Kampf aus, dessen eigentliches Ziel sie längst aus den Augen verloren hatten.
    Seth hob die Lider. „Wir sind bald da."
    „Wo?", fragte Merle.
    „Am Eisernen Auge."
    „Was ist das?" Merle hatte angenommen, dass er sie nach Heliopolis, in die Hauptstadt des Pharaos, bringen würde. Vielleicht auch nach Kairo oder Alexandria.
    „Das Eiserne Auge ist die Festung der Sphinxe. Von dort aus wachen sie über Ägypten." Sein Tonfall war abfällig, und zum ersten Mal kam Merle der Gedanke, dass Seth noch von anderen Motiven beherrscht wurde als vom absoluten Wil en zur Macht. „Das Eiserne Auge steht im Nildelta. Es wird bald in Sicht kommen."
    Merle wandte sich wieder ihrem Sehschlitz zu. Wenn sie sich bereits so weit im Norden befanden, mussten sie über Kairo hinweggeflogen sein. Warum hatte sie nichts davon bemerkt? Der Schnee lag hoch, aber nicht hoch genug, um eine Millionenstadt unter sich zu begraben.
    Es sei denn, jemand hatte Kairo dem Erdboden gleichgemacht. Hatte sich dort womöglich der Widerstand des ägyptischen Volkes geballt, als der Pharao und die Horuspriester nach der Macht gegriffen hatten? Die Vorstellung, dass Kairo mit all seinen Bewohnern vernichtet worden war, nahm Merle den Atem.
    Junipas Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Was wollen Sie bei den Sphinxen?", fragte sie den Priester.
    Seth sah Junipa einen Moment lang ausdruckslos an. Dann lächelte er plötzlich. „Du bist ein kluges Kind. Kein Wunder, dass sie gerade dir die Spiegelaugen eingesetzt haben. Deine Freunde haben sich vermutlich in diesem Moment gefragt, was sie im Eisernen Auge tun sollen. Aber du fragst, was mich dorthin treibt. Und das ist es doch, worauf es ankommt, nicht wahr?"
    Merle war nicht sicher, ob sie verstand, wovon er da redete. Sie warf ihrer Freundin einen Blick zu, doch Junipa verriet mit keiner Regung, was in ihr vorging. Erst als sie weitersprach, begriff Merle, worauf sie hinauswollte - und dass sie tatsächlich Recht damit hatte.
    „Sie mögen die Sphinxe nicht", sagte Junipa. „Das kann ich sehen."
    Für den Bruchteil eines Atemzugs schien Seth überrascht. Doch sogleich hatte er sich wieder im Griff. „Möglicherweise."
    „Sie sind nicht hier, weil die Sphinxe Ihre Freunde sind. Sie werden die Sphinxe auch nicht um Hilfe bitten, uns zu töten."
    „Glaubst du denn wirklich, dafür bräuchte ich Hilfe?"
    „Ja", sagte Vermithrax; es war das erste Mal seit Stunden, dass er sprach. „Das glaube ich ganz bestimmt."
    Die beiden Gegner fixierten einander mit Blicken, aber keiner legte es auf eine Eskalation an. Nicht hier, nicht jetzt.
    Wieder war es Junipa, die die Spannung entschärfte. Ihre sanfte, unendlich gelassene Stimme tastete nach Seths Aufmerksamkeit. „Sie haben versucht, Lord Licht zu töten, und Sie kehren aus der Hölle zurück in ein Land, das sich in eine Eiswüste verwandelt hat. Warum führt Sie Ihr erster Weg nicht an den Hof des Pharaos oder in den Tempel der Horuspriester? Wieso geradewegs zur Festung der Sphinxe? Das ist ziemlich merkwürdig, finde ich."
    „Und was sol , deiner Meinung nach, all das bedeuten, kleines Spiegelmädchen?"
    „Ein Feuer in Ihrem Herzen", sagte sie rätselhaft.
    Merle starrte Junipa an, bevor ihr Blick dem des Obsidianlöwen begegnete. Für einen Moment verdrängte Verwunderung die Kälte aus Vermithrax' Augen.
    Seth legte den Kopf schräg. „Feuer?"
    „Liebe. Oder Hass." Junipas Spiegelaugen leuchteten im goldenen Schein des Löwen. „Eher Hass."
    Der Priester schwieg und dachte nach.
    Junipas Stimme stieß nach: „Rache, denke ich. Sie hassen die Sphinxe, und Sie sind hier, um sie zu vernichten."
    „Bei allen Göttern!", murmelte die Fließende Königin in Merles Gedanken.
    Vermithrax hörte noch immer aufmerksam zu, und sein Blick wanderte von Junipa zurück zu Seth.
    „Ist das wahr?"
    Der Horuspriester schenkte

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