Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort
dem Löwen keine Beachtung. Nicht einmal Merle, die er zuvor immer wieder beobachtet hatte, schien für ihn jetzt noch von Bedeutung zu sein. Es war, als sei er mit Junipa in der Barke allein.
„Du bist tatsächlich ein erstaunliches Geschöpf, kleines Mädchen."
„Mein Name ist Junipa."
„Junipa", wiederholte er langsam. „Ganz erstaunlich."
„Sie sind nicht länger die rechte Hand des Pharaos, nicht wahr? Sie haben al es verloren, als es Ihnen dort unten nicht gelungen ist, Lord Licht zu töten." Junipa drehte gedankenverloren eine Strähne ihres weißblonden Haars zwischen Daumen und Zeigefinger. „Ich weiß, dass ich Recht habe.
Manchmal sehe ich nicht nur die Oberfläche, sondern auch das Herz der Dinge."
Seth atmete tief durch. „Der Pharao hat die Horuspriester verraten. Er hat mir den Auftrag gegeben, Lord Licht zu ermorden. Die Sphinxe hatten Amenophis geweissagt, dass jemand aus der Hölle kommen und ihn vernichten würde. Deshalb wollte er, dass ich Lord Licht töte - und am besten gleich selbst dabei sterbe. Amenophis hat all meine Priester gefangen nehmen lassen und gedroht, sie hinzurichten, wenn meine Mission keinen Erfolg hat."
„Nun", sagte Vermithrax genüsslich, „du bist gescheitert. Meinen Glückwunsch."
Seth funkelte ihn an, erwiderte aber nichts. Stattdessen fuhr er fort: „Ich bin sicher, Amenophis weiß bereits, dass Lord Licht noch am Leben ist." Er senkte den Blick, und Merle wünschte sich beinahe, sie könnte Mitleid für ihn empfinden. „Meine Priester sind jetzt tot. Der Horuskult existiert nicht mehr. Ich bin der Einzige, der übrig geblieben ist. Und die Sphinxe haben unsere Stelle an der Seite des Pharaos eingenommen. So war es von Anfang an geplant. Wir sollten Amenophis wiedererwecken und die Fundamente des Imperiums legen. Die Sphinxe sind es, die nun die Früchte all unserer Anstrengungen ernten. Sie haben im Hintergrund abgewartet, bis die Zeit reif war, um den Pharao auf ihre Seite zu ziehen. Sie haben ihn dazu gebracht, uns zu verraten. Die Sphinxe haben Amenophis ausgenutzt, und sie haben uns ausgenutzt. Wir sind manipuliert worden, ohne es zu ahnen. Oder, nein, das ist nicht wahr. Andere haben mich gewarnt, aber ich habe ihren Rat in den Wind geschlagen. Ich wollte nicht wahrhaben, dass die Sphinxe ein falsches Spiel mit dem Imperium treiben. Dabei lief es immer nur auf eines hinaus: Das Imperium erobert die Welt, und die Sphinxe übernehmen das Imperium. Sie haben uns zu ihren Handlangern gemacht, und ich war von allen der Einfältigste, weil ich die Augen vor der Wahrheit verschlossen habe. Meine Priester mussten den Preis für meinen Fehler zahlen."
„Und nun sind Sie auf dem Weg zu den Sphinxen, um sie zu rächen", sagte Junipa.
Seth nickte. „Wenigstens das kann ich tun."
„Mir wird ganz schwer ums Herz", bemerkte die Königin sarkastisch.
Merle achtete nicht auf sie. „Wie wollen Sie die Sphinxe vernichten?"
Seth schien beinahe ein wenig erschrocken über seine eigene Offenheit. Er, der Höchste der Horuspriester, Zerstörer zahlloser Länder und Schlächter ganzer Völker, hatte zwei Kindern und einem verbitterten Steinlöwen seine Gedanken offenbart.
„Ich weiß es noch nicht", sagte er nach einem Augenblick nachdenklichen Schweigens. „Aber ich werde einen Weg finden."
Vermithrax schnaubte verächtlich, aber nicht so laut, wie er es wohl vor Seths Geständnis getan hätte. Auch ihn hatte die Offenheit des Priesters überrascht, sogar ein wenig beeindruckt.
Dennoch machte niemand den Fehler, Seth für einen Verbündeten zu halten. Wenn es für ihn einen Vorteil bedeutete, würde er sie alle bei der ersten Gelegenheit opfern. Dieser Mann hatte zehntausende mit einem Wink seiner Hand ausgelöscht, hatte Städte durch einen knappen Befehl niedergebrannt und die Friedhöfe ganzer Nationen geschändet, um die Leichen zu Mumienkriegern zu machen.
Seth war kein Verbündeter.
Er war der Teufel selbst.
„Gut", sagte die Fließende Königin. „Und ich dachte schon, er würde euch alle mit seiner amüsanten kleinen Tragödie um den Finger wickeln."
Merle ergriff Junipas Hand. „Was weißt du noch über ihn?", fragte sie, ohne auf Seths lodernde Blicke zu achten.
Die Spiegelaugen reflektierten Vermithrax' Goldglanz mit solcher Intensität, dass Merles Ebenbild darin verglühte wie ein Insekt in einer Kerzenflamme. „Er ist ein böser Mensch", sagte Junipa, „aber die Sphinxe übertreffen ihn um ein Unendliches."
Seth deutete eine
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