Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
hörte das Knacken des trockenen Holzes unter eiligen Schritten. Obwohl ihm eher danach war, sich zu krümmen und über den Hals des Pferdes zu hängen, hielt er sich absichtsvoll gerade und aufrecht.
Er hatte sich nicht getäuscht. Zwischen zwei Fichtenstämmen tauchte die Faust auf und schleuderte die Lanze nach ihm. Die Waffe flog auf ihn zu, streifte beinahe die Ohren des Pferdes und fiel auf der anderen Seite in den Schnee. Die alte Stute schüttelte nur den Kopf und wollte gemächlich weitertrotten. Aber der König zog am Zügel.
Einen Augenblick war es vollkommen still. Es schneite jetzt kaum noch, nur wenige verspätete Flocken fielen vom Himmel. Chlodwig wandte den mit der Mantelkapuze bedeckten Kopf und blickte zu den beiden Fichten zurück.
»Komm heraus«, sagte er.
Nichts rührte sich.
Er wiederholte: »Komm heraus. Ich weiß doch, du bist es. Du brauchst dich nicht mehr zu verstecken.«
Ein einäugiger Schrat in beschneiten Lumpen trat langsam zwischen den Bäumen hervor.
»Näher. Komm näher.«
Der Schrat gehorchte. Schwerfällig pflügten seine Beine den Schnee. Neben dem Reiter auf dem Weg blieb er stehen.
»Nun versuchst du es schon zum fünften Mal und willst mich aus dem Hinterhalt umbringen«, sagte der König. »Aber kein einziges Mal hast du getroffen.«
In seinen Worten schwang Vorwurf mit.
»Ich will ja auch gar nicht treffen«, sagte der Schrat.
»Und warum lauerst du mir dann auf und verfolgst mich und wirfst Lanzen nach mir?«
»Erschrecken will ich dich. Das genügt ja.«
»Erschrecken will er mich!«, sagte der König verdrossen. »Aber warum? Wolltest du mich denn niemals umbringen?«
»Früher wollte ich das. Als wir noch Knaben waren. Und damals in der Waldburg bei Tournai. Manchmal auch später noch.«
»Aber ernsthaft hast du es nie mehr versucht.«
»Als ich dich töten wollte, war es ja nicht für deine eigenen Untaten. Je mehr Verbrechen du selber begingst, desto weniger hattest du den Tod verdient.«
»Und was hatte ich verdient, deiner Meinung nach?«
»Die Angst vor dem Tod.«
»Deshalb also hast du immer daneben gezielt.«
»Ich habe getan, was in meinen Kräften stand. Viel war es nicht mehr. Ein paar schlappe Lanzenwürfe, die nicht mal gefährlich wirkten. Du nahmst meine Anschläge wohl auch nicht ernst.«
»Natürlich nahm ich sie ernst. Wäre ich denn sonst hier? Ich hatte gehofft, du würdest mich endlich erwischen!«
»Tut mir leid.«
»Wenn schon gestorben sein muss, dann wollte ich von der Hand eines Kriegers sterben. Aber nun wird es wohl nichts mit Walhall. Nun ist mir ein elender Strohtod bestimmt.«
»So scheint es.«
Einen Augenblick schwiegen sie.
»In Walhall«, sagte der Schrat dann, »würden sie dich ohnehin nicht mehr aufnehmen.«
»Warum nicht?«
»Du bist doch nun Christ.«
»Verflucht, das ist wahr!« Der König warf einen Blick zum Himmel, halb ärgerlich, halb reuevoll. »Daran hatte ich jetzt wahrhaftig nicht mehr gedacht. Ich bin der größte Glaubensstreiter, den Gallien je hervorbrachte. Und was habe ich nun davon? Was bleibt mir?«
»Ruhm und Ehre«, sagte der Schrat. »Und die ewige Seligkeit im Paradies.«
Da brach der König in ein Gelächter aus. Er griff sich ans Herz und lachte wie toll. Dabei hustete er und schüttelte sich. Und plötzlich sank er vom Pferd und fiel in den Schnee. Stumm blieb er liegen.
Er war tot.
Die Merowinger – eine der mächtigsten Familien des frühen Mittelalters, die mit Schwert und Blut Geschichte schrieb.
Die mörderische Familiensaga geht weiter in
Robert Gordian
DIE MEROWINGER
Roman
Eine Leseprobe finden Sie am Ende dieses eBooks.
Stammbaum der Merowinger
Bei dieser Darstellung handelt es sich um eine sehr vereinfachte Darstellung des Merowinger-Stammbaums, der zur Orientierung in Robert Gordians Romanserie dienen soll. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden diverse Ehefrauen und Kinder nicht berücksichtigt; die angegeben Jahreszahlen beziehen sich auf die jeweilige Regentschaft.
Lesetipps
Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits zwei historische Romanserien:
ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN
Erster Roman: Demetrias Rache
Zweiter Roman: Saxnot stirbt nie
Dritter Roman: Pater Diabolus
Vierter Roman: Die Witwe
Fünfter Roman: Pilger und Mörder
Sechster Roman: Tödliche Brautnacht
DIE MEROWINGER
Erster Roman: Letzte Säule des Imperiums
Zweiter Roman: Schwerter der Barbaren
Dritter Roman: Familiengruft
Vierter Roman: Zorn der
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