DIE MEROWINGER: Familiengruft
beide die aufregendste Zeit ihres Lebens, die ihrer gemeinsamen Liebschaft mit Ansoald.
Nicht selten war es ja damals, wenn sie auf ihn warteten oder wenn er sogar ausblieb, zwischen ihnen zu Späßen und Neckereien gekommen, die bald mehr wurden als nur appetitanregende Vorspiele. Und auch später, wenn Audo mal wieder einen Liebhaber satthatte und Lanthild sich mit dem als Ehemann nicht mehr sehr regsamen Ansoald langweilte, hatten sie sich noch gelegentlich miteinander getröstet.
Das war zwar schon lange nicht mehr geschehen, aber noch wussten sie alles voneinander und tauschten sich regelmäßig aus. Während Ansoald in Berny dem König Gesellschaft leistete, verbrachte Lanthild noch immer viel Zeit mit ihrer ältesten Schwester.
Oft kam auch Jullus dazu, wenn sie sich in seiner Villa trafen. Man gelangte von der Palastanlage leicht auf sein Anwesen. Hinter der Mauer bildete eine halb verfallene Exedra dessen Abschluss. Aus ihrer Rückwand mussten nur ein paar Quadersteine entfernt werden, um einen bequemen Durchschlupf zu schaffen. Auf der Palastseite verdeckten ihn Bäume und Büsche, so dass Audofleda leicht unbemerkt zu ihrem Geliebten gelangen konnte.
Bald schmiedeten die drei ein Komplott, an dem sich Lanthild nicht nur zugunsten ihrer Lieblingsschwester, sondern auch aus einem handfesten eigenen Interesse beteiligte.
Schon lange strebte sie danach, das Comitat, das sie quasi allein regierte, vom Palast und von der Verwaltung des Reiches unabhängig zu machen. So ärgerte es sie, dass auch die Einnahmen der Stadt – Markt-, Brücken- und Wegezölle – in den Reichsschatz flossen, den der Majordomus Bobo allein verwaltete. Meist stellte sich Bobo taub, wenn sie mit Forderungen kam, zum Beispiel für ein neues Gerichtsgebäude, Umbauten an der alten römischen Arena oder eine Solderhöhung für die Ordnungstruppe. Dann musste sie den umständlichen Weg über Chlodwig suchen, der damit nicht gern behelligt wurde. Während andere Comites nach Belieben wirtschafteten und nur so viel an den Fiskus abführten, wie nach den Steuerlisten veranschlagt wurde, war ausgerechnet die Hauptstadt fast mittellos.
Das wollte Lanthild ändern, und dazu benötigte sie einen eigenen Amtssitz, wo Bobo und seine Leute keine Befugnisse hatten. Er durfte allerdings nicht weit vom Palast entfernt sein, damit sie immer über das, was dort vor sich ging, auf dem Laufenden war. Das ideale Gebäude für diesen Zweck war die an das Palastareal grenzende villa urbana des Jullus Sabaudus.
Als Lanthild zum ersten Mal in der Sache des Jullus bei ihrem Bruder vorfühlte, stieß sie erwartungsgemäß auf strikte Ablehnung. Für den Posten des Comes von Paris konnte nur ein Franke in Frage kommen, und dass die Mutter des Jullus einen fränkischen Vater hatte, ließ Chlodwig nicht gelten.
Nun erst rückte Lanthild gegenüber Jullus und Audofleda mit ihrem eigentlichen Vorschlag heraus: Der Referendar sollte ihrem Bruder anbieten, ihm für den Posten in Paris seine Villa in Soissons, die nicht viel kleiner, jedoch schöner und bequemer war als sein von Syagrius übernommener Palast, zur vollen Nutzung zu überlassen und sie ihm später sogar zu vererben. (Wobei das »später« sich auf einen Zeitpunkt bezog, zu dem die Einkünfte des Jullus aus dem lukrativen Comitat den Verlust der Villa etwa ausgeglichen haben würden.)
Von Audofleda heftig gedrängt, war Jullus schließlich einverstanden, und auch Chlodwig zeigte sich nach einigem Zögern nicht mehr abgeneigt. Alles in allem fand er den Handel vorteilhaft. Jullus Sabaudus, den er ja schätzte und für fähig hielt, eine Stadt zu regieren, sollte als kognatischer Frankenspross gelten und den Comes von Paris, dem sein Arzt nur noch höchstens einen Monat zu leben gab, sogleich nach dessen Ende im Amt beerben. Das war die »Abmachung«.
Für alles Weitere war nun Geduld vonnöten. Lanthild hatte wenigstens schon Chlodwigs Einverständnis, in Soissons einen besonderen Amtssitz des Comes einzurichten. Noch immer zog bei ihm ein Hinweis auf Bobos Habsucht und vermutete Unregelmäßigkeiten, die sich sein Majordomus zuschulden kommen ließ. Allerdings hatte sie ihn noch nicht so weit, dass er ihr das prächtige Haus überließ. Und noch wohnte ja auch Jullus darin mit Verwandten und Dienerschaft. Bevor der nicht den alten Kaiserpalast auf der Seine-Insel bezogen hatte, blieb die Angelegenheit in der Schwebe.
Was die schöne Audofleda betraf, so begann jetzt für sie eine Zeit des
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