DIE MEROWINGER: Familiengruft
Zitterns. Jullus konnte sich ja erst um sie bewerben, wenn er tatsächlich Comes war. Traf vorher doch noch eine Gesandtschaft der Ostgoten ein, war alles verloren.
Einige Äußerungen ihres Bruders, die ihr zugetragen wurden, ließen allerdings ihre Hoffnungen keimen. Chlodwig hatte unter anderem den König der Ostgoten einen wortbrüchigen Schurken genannt, für den seine Schwester viel zu schade sei. Wenn der jetzt, anderthalb Jahre nach der Vereinbarung über die Heirat, noch wagen sollte, seine Gesandten zu schicken, um Audofleda zu holen, werde man ihnen eine Strohpuppe mitgeben.
Dies war der Stand der Dinge, als die Burgunderprinzessin Chlotilde bei ihrem künftigen Gemahl eine Beschwerde vorbrachte und als er sich plötzlich beim Anblick seines Referendars an die »Abmachung« erinnerte.
Kapitel 12
Für die Räumung der Villa blieb wenig Zeit. Jullus Sabaudus eilte sogleich nach Hause und gab den Dienern seine Anweisungen. In aller Eile wurden Wagen mit dem kostbarsten Mobiliar, Geschirr und Hausrat beladen. Die Mägde verstauten in Truhen, was sie zusammenraffen konnten. Jullus hatte entschieden, alles nach einem nur drei Meilen entfernten Landgut bringen zu lassen, das seinem Bruder gehörte.
Gerade wurde die kranke, betagte Mutter des Referendars in ihrem Bett aus dem Hause getragen, als die ersten Haufen ungebetener Gäste anrückten. Chundo führte sie an, gab mit knarrender Stimme Befehle und spielte den Quartiermeister.
Rasch hatte sich unter den aus dem Palast vertriebenen Gottesmännern die Adresse der neuen Herberge herumgesprochen. Immer mehr Tonsurierte kamen herein und warfen ihre Schlafmatten und armseligen Bündel in die Ecken.
Die meisten zog es gleich in die Küche, wo sie sich ohne Umstände alles Essbare in den Mund und die Taschen stopften. Zwischen dem Hausverwalter des Jullus Sabaudus und Chundo kam es zu einem heftigen Wortwechsel, als Knechte einen Korb voller Wachskerzen hinaustragen wollten. Der hagere Diakon protestierte auch, weil noch hastig silberne Leuchter, Kannen und Becher eingepackt wurden. Er reklamierte alles für gottesdienstliche Zwecke. Auch dass Teppiche zusammengerollt und fortgebracht wurden, ließ er nicht zu.
Sollte der Braut des Königs und ihrem vornehmen Gefolge zugemutet werden, während der heiligen Handlung auf dem kahlen Boden zu knien?
Jullus gab schließlich in allem klein bei und beruhigte sogar seinen wütenden Hausverwalter. Als er die Villa verließ, trugen Kuttenträger gerade das sieben Fuß hohe Kreuz herein. Dabei stießen sie in dem schmalen Vestibül einen marmornen Herkules an und kippten ihn aus seiner Nische. Sein Kopf brach ab und rollte zwischen die Füße der Mönche.
»Ist nicht schade drum«, sagte Chundo. »Heidnischer Plunder! So etwas brauchen wir nicht.«
Dieses Wort wurde weitergegeben und regte auch andere zu Taten an.
Es fand sich in den Räumen der Villa noch mehr »heidnischer Plunder«, den der Besitzer nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht hatte. Eine kleine Statuengruppe der kapitolinischen Trias wurde ebenfalls demoliert. Einem Iuppiter fulgor schlug ein furchtsamer Mönch den erhobenen Arm mit dem Blitz ab, damit der unter den frommen Gästen des Hauses kein Unheil anrichten konnte. Ein Schränkchen mit Tonfiguren, in denen man Laren erkennen wollte, einstige Haus- und Familiengötter der Sabauder, flog aus dem Fenster.
Die Halle, das Atrium des im römischen Stil errichteten Hauses, wies besonders viele bildliche Darstellungen aus der Mythologie auf. Sie konnten nicht geduldet werden, denn dies war der zur Kapelle bestimmte Raum, hier wurde das Kreuz aufgestellt und ein Altar errichtet.
Durfte man zulassen, dass eine schamlos entblößte Venus von einem Wandbild frech auf die fromme Versammlung herunterlächelte? Durfte – auf einem anderen Machwerk – die spärlich mit ein paar Früchten bedeckte Pomona während der heiligen Messe mit ihrem Lieblingsgötzen Vertumnus schöntun? Oder durfte ein geflügelter Merkur auf einem Fußbodenmosaik seinen Sohn das Stehlen lehren und die Gerechten durch das schlechte Beispiel in Versuchung führen?
Der Diakon Chundo fand, er sei für die Reinheit des Ortes verantwortlich, wo die künftige Königin der Francia ihrem Herrn dienen wollte. So ergriff er die nötigen Maßnahmen.
Venus und Pomona wurden mit Messern von den Wänden gekratzt. Mit Eisenstangen und Spitzhacken wurden so viele bunte Steinchen aus dem Fußboden gebrochen, dass von Merkur nicht einmal der
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