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DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

Titel: DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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von denen. Was wollt ihr also? Heraus damit!«
    Potitius sah sich in Verlegenheit. Einerseits kam er als Freier, andererseits als Beschwerdeführer. Er empfand freilich, dass der Ort und die Situation kaum geeignet waren, seine Anliegen vorzubringen, weder das eine noch das andere. Sollte er hier, in der Dämmerung auf der Wiese, umringt von wüsten, waffenstarrenden Rohlingen, von seinen zarten Empfindungen für die schöne Audofleda sprechen? Durfte er wagen, unter dem finsteren Blick dieses »Königs«, dessen Erscheinung seinen Ruf, ein Bandit zu sein, nachhaltig bestätigte, über ein paar gestohlene Schmuckstücke Klage zu führen?
    So fiel ihm nichts Besseres ein, als sich erst einmal in Schmeicheleien zu flüchten. »Es war dein Ruhm, König, der mich anzog! Es drängte mich, einen Herrscher kennenzulernen, der schon nach so kurzer Regierungszeit weithin von sich reden macht. Eine solche Bekanntschaft ist lehrreich und in jeder Beziehung gewinnbringend. So schloss ich mich dem Bischof Remigius an, der inzwischen, da er dich nicht mehr antraf, seine Reise fortgesetzt hat. Ich erwartete dich dagegen in Tournai, aber schließlich konnte ich meine Ungeduld nicht mehr bezähmen, und da ich hörte, du seiest zu einer deiner anderen Residenzen aufgebrochen, entschloss ich mich, dir zu folgen … nach einer ungefähren Beschreibung des Ortes, den wir heute zufällig fanden. Es ist mein aufrichtiges Bestreben, König, als Spross einer alteingesessenen Aristokratenfamilie mit dem Heldengeschlecht der Merowinger …«
    »Hast du es etwa auf eine meiner Schwestern abgesehen?«, fragte Chlodwig scharf und direkt.
    »Nun, ich … wenn du mir gleich diese Frage stellst, ich … ich wäre durchaus nicht abgeneigt«, stammelte Potitius, wieder etwas aus der Fassung gebracht. »Nachdem ich das Glück hatte, mich von der Schönheit und Bildung Fräulein Audofledas zu überzeugen und …«
    »Du hast dich an Audofleda herangemacht?«
    »Wie? Oh nein … Nur einmal mit ihr gesprochen … in Ehren, König, in allen Ehren! Es war sogar umgekehrt … sie geruhte an mich das Wort zu richten … in Gegenwart vieler. Wir unterhielten uns über gelehrte Dinge … tauschten darüber unsere Meinungen aus. Und das … das bestärkte mich in meiner Absicht … meiner Absicht …«
    Potitius stockte, er war plötzlich abgelenkt.
    Während er seine ganze Aufmerksamkeit darauf richtete, sein gefährliches Auditorium mit einer geschickten Anrede zufriedenzustellen, war der Strom der Menschen und Tiere, der aus dem Walde hervorquoll, nicht abgerissen und immer breiter geworden.
    Es wurden auch Karren mitgeführt, die einen beladen mit schweren Truhen und anderen Möbeln, Fässern, Teppichen, Kleidern und Hausrat, die anderen mit Verschlägen und Käfigen, in die Schweine, Hühner, Gänse, Kraniche und sogar Schwäne gepfercht waren. Mit Knüppelschlägen wurden Pferde, Kühe, Ziegen und Schafe herbeigetrieben.
    Schließlich kamen, mit Stricken aneinandergefesselt, Menschen heraus, viele fast oder gänzlich nackt, so wie man sie im Schlaf überfallen hatte. Junge Männer und Weiber zumeist, auch größere Kinder, nur wenige schon in vorgeschrittenem Alter.
    Unter den Letzteren war ein kräftiger, untersetzter Mann, den auch der tage- und nächtelange Marsch noch nicht zermürbt zu haben schien. Denn während die meisten bei dem Gebrüll der Bewacher müde und gleichgültig dahinstolperten, hielt er sich straff und ließ seine Blicke umherschweifen. Und auf einmal entdeckte er etwas, blieb stehen, riss heftig an seinen Stricken und schrie:
    »Herr! Bist du es, Quintus Potitius? Erkennst du mich, Herr? Ich bin Creatus! Hier ist Creatus!«
    Der Angerufene stand wohl an die hundert Schritte entfernt und bemerkte den Mann nicht gleich. Er hatte bis jetzt nicht viel davon mitbekommen, was hinter den fränkischen Reitern, die ihn umringten, vor sich ging.
    Bei dem anschwellenden Lärm – dem Kommandogebrüll, dem Pferdegetrappel, dem Knarren der Räder, dem Geblöke, Gegrunze und Geschnatter der Tiere – verlor sich die einzelne Stimme. Doch einer der Knechte des Potitius hörte die Rufe und machte die anderen aufmerksam. Heftig gestikulierend und den Namen des Rufers wiederholend, erreichten sie nun, dass Potitius sich unterbrach und mit weit aufgerissenen Augen über die Schulter des Königs Chlodwig hinweg zum Waldrand blickte.
    Da sah er den Mann, der noch immer schrie: »Herr! Ich bin Creatus! Hilf uns, Herr! Ich bin Creatus!

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