DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
Goldsolidus. Den habe ich als Preis ausgelobt. Vielleicht schafft es Bladast mit seiner Riesenkeule. Sieh mal, der nimmt sich gerade die Junge vor. Das Tor ist zu eng für ihn, da muss er noch ein Stück Mauer wegreißen. Ein blutiges Unterfangen, aber er schafft es. Vorwärts, Bladast! Hinein in die feindliche Festung! Nieder mit Rom!«
»König!«, schrie einer. »Die Alte ist fertig. Gib ihr den Rest!«
»Was? Schon fertig?«, rief der Vogelkopf. »Aber es ist doch kaum eine halbe Hundertschaft durch.«
»Sie ist gleich hin. Es ist dein Vorrecht. Gib ihr den Rest!«
»Diese Burschen sind schlau«, sagte Chararich grinsend, wieder an Chlodwig gewandt. »Von wegen Vorrecht. Die haben keine Lust mehr auf die Alte. Nicht mal ein byzantinischer Goldsolidus reizt sie dazu. Gut, dann behalte ich ihn, ist mir recht. Aber ich hab auch keine Lust mehr. Ich stoße ihr einfach das Schwert hinein, und der Sieg ist unser. Weg da, macht Platz!«
Er zog das Kurzschwert, den Sax, aus der Scheide, die ihm am Gürtel hing, zielte auf die blutige Mitte zwischen den weit gespreizten Schenkeln und wollte das Opfer durchbohren.
Chlodwig packte ihn an seinem dünnen Zopf und riss ihn zurück.
»Mir wäre lieber gewesen, Vetter, du hättest heute dein Schwert woanders gebraucht!«, sagte er so laut, dass seine Stimme den Lärm übertönte. »Mit Hilfe der Götter konnten wir aber die Schlacht allein gewinnen. Es war nicht mehr wichtig, dass unsere Reserve kein Frankenheer, sondern eine Viehherde ist!«
Einige Tongerer heulten auf, und Chararich riss sich abermals los. Eine Strähne seines schütteren Haars blieb in Chlodwigs Hand zurück.
»Was hast du gesagt? Eine Viehherde?«
»Nein. Vieh ist geschmeichelt. Eine Hundemeute! Feige Hunde, die bewaffnete Männer fürchten, aber über wehrlose Frauen herfallen!«
»Das wirst du büßen!«
Diesmal konnte Chlodwig die Axt im Gürtel lassen. Baddo und Ansoald, die gleich nach ihm eingetreten waren, packten Chararich links und rechts und zerrten ihn unerbittlich zum Ausgang.
Der König der Tongerer fuchtelte mit dem Schwert und stieß Drohungen aus. Doch keiner seiner Leute kam ihm zu Hilfe. Die Tongerer sahen sich plötzlich in der Minderzahl, umstellt von den hundert verlässlichen Männern, die Chlodwigs Gefolge bildeten. Die finster starrenden Stammesgenossen herauszufordern wagten sie nicht, und so trollten sie sich unter Protestgemurmel. Aber einige senkten auch die Köpfe. Sie begriffen wohl, dass sie mit dem, was sie hier hinterließen, wenig Ehre einlegen konnten.
***
Die beiden Opfer starben noch in derselben Nacht.
Die Ältere war jene vornehme römische Emigrantin gewesen, die ihre Herkunft auf den Kaiser Alexander Severus und seine Gemahlin, die Kaiserin mit dem langen, pompösen Namen, zurückführte.
Mit einer verzweifelten Lüge hatte sie ihre Tochter retten wollen. Eine alte Dienerin erzählte es Sunna, die bereits kurz nach Chlodwig im Palast eintraf und mit anderen Frauen in der großen Halle ein behelfsmäßiges Hospital einrichtete.
Dorthin brachte man die beiden schwerverletzten, geschändeten Frauen. Die Jüngere, fast ein Kind, konnte noch stockend reden und sagte, vergebens habe ihre Mutter versucht, einen Wagen zur Flucht zu bekommen. Ihre Mittel hätten längst nicht mehr gereicht, um den geforderten hohen Preis zu zahlen. Auch Frau Titia, die Gemahlin des Patricius, sei nicht bereit gewesen, die beiden in ihrer Wagenkolonne mitzunehmen, weil sie nicht genug bezahlen konnten.
»Da riegelten sie sich in ihrem Zimmer ein«, berichtete Sunna später, als Chlodwig sich nach der vermeintlichen Kaiserin und ihrer Tochter erkundigte. »Sie zitterten vor Angst und erwarteten die Franken. Die Leute meines Onkels – die Götter mögen ihn strafen – schlugen die Tür ein. Gleich stürzten sie sich auf das Gepäck, das noch zur Abreise bereitstand. Sie durchwühlten alles … die Kisten, die Säcke. Dabei fiel einem das junge Mädchen auf. Er machte sich an sie heran, doch die Mutter trat dazwischen. In ihrer Not hielt sie ihm eine heftige Rede. Sie sagte, er dürfe das Mädchen nicht anrühren, sie sei Abkömmling eines römischen Kaiserpaars und zur Heirat mit einem germanischen Fürsten bestimmt. Und sie zeigte ihm einen Anhänger mit dem Bild ihrer Ahnfrau und wiederholte immer wieder, diese sei eine Kaiserin gewesen. Die Männer konnten nicht Latein, nur das Wort Kaiserin – imperatrix – verstanden sie. Sie meldeten alles dem Chararich und führten
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