Die Merowinger - Zorn der Götter
Vergnügen umgeben.
Manchmal bedauerte er, dass sein Tatendurst nicht durch irgendeine erlernte Kunstfertigkeit befriedigt wurde. Ein guter Waffenschmied hätte er sein können, und immer wieder mal stand er auch in der Schmiede am Amboss. Aber er war nun einmal nicht niedrig geboren, und das war nicht Sache eines Königs. So blieb nur der Krieg, der einzige Zweck, zu dem schon die Alten ihren kuning gewählt hatten: das Glück, zu kämpfen, zu siegen, zu erobern, zu herrschen – und dabei stets Auge in Auge zu sein mit dem Tod, der Niederlage, der Demütigung, dem Untergang.
In der Nacht nach der Heerschau ließ Chlodwig im Wodanstempel ein Opfer für den höchsten Gott darbringen. Allvater Wodan war Herrscher im Himmel und auf Erden, war Schlachtenlenker und Spender des Sieges. Er führte seine Getreuen zu einer überlegenen Schlachtordnung, er steigerte ihre Kampfeswut zum Rausch, er erfüllte die Feinde mit Schrecken und machte sie blind und taub. Die Gefallenen holte er nach Walhall zu ewigem Kampf und ewiger Lust. Wenn Stürme über das Land brausten, sah man ihn am Himmel dahinjagen mit dem Heer der glücklichen Toten, im weiten, flatternden Mantel, den breiten Hut tief in das Gesicht gezogen, begleitet von Hugin und Munin, den weisen Raben, und von Geri und Freki, den »Gierigen«, den Wölfen des Schlachtfelds. Ihm zu opfern, war heilige Pflicht vor jedem kriegerischen Unternehmen.
Dichtgedrängt standen im Schein von Opferfeuern und Fackeln einige tausend Männer am Fuße des flachen Hügels, alle mit Schwertern und Schilden, Lanzen und Äxten bewaffnet. Ringsum an heiligen Eichen hingen Wodan geopferte Krieger in voller Rüstung, Gefangene aus einem der letzten Grenzscharmützel.
Am Hang waren steinerne Altäre errichtet, wo sich Priester auf die von Knechten herangetriebenen Pferde stürzten, Wodans bevorzugte Opfertiere, und deren Hälse mit langen Messern durchschnitten.
Priesterinnen, alte Frauen in langen, anfangs weißen, aber bald blutdurchtränkten Hemden, rückten geweihte Kessel unter die strömenden Wunden, schlitzten den Tieren die Bäuche auf und lasen aus der Lage der Eingeweide die Zukunft, die sie mit kreischender Stimme verkündeten – natürlich den Sieg über die Alamannen. Dann schleppten sie die vollen Kessel durch die Reihen der Krieger, tauchten Zweige hinein und besprengten die Männer mit Opferblut.
Von Hand zu Hand gingen Trinkhörner mit Met, dem Göttertrank, einem Wein aus vergorenem Honigsaft. Die schnell Berauschten stimmten Gesänge an, die aus nur wenigen langgezogenen, dumpfen Tönen bestanden und die sie schaurig durch Widerhall verstärkten, indem sie sich ihre Schilde vor den Mund hielten. Zum Lärm von Hörnern und Trommeln warfen bald viele die Mäntel ab und begannen, wild und verzückt zu tanzen.
Unter dem Dach der Halle hatte Chlodwig seine Antrustionen versammelt. Hier wurden Wodan zu Ehren junge Männer geschlachtet, ebenfalls Kriegsgefangene. Der Priester warf die nackten Gefesselten rücklings auf den Altar, packte mit beiden Fäusten den Speer, die Wodanswaffe, schwang ihn hoch über seinen Kopf und durchbohrte sie.
Den König und die vornehmsten Krieger stärkte Menschenblut für den Kampf.
Chlodwig, über und über mit Blut bespritzt und schwer berauscht vom ungewohnten Metgenuss, hielt eine lange Rede an das Kultbild des Wodan, dessen Sieghilfe er für seine Opfer verlangte und den er – zum Befremden einiger, deren Sinne noch klar waren – warnte, dabei zu versagen. Denn es gebe, so drohte der König, noch andere Götter, und wer sich nicht als treuer Gefolgsherr erweise, werde von seiner Gefolgschaft früher oder später im Stich gelassen.
Auf Bobo und Ansoald gestützt, verließ er danach schwankend die Halle und setzte sich draußen zum Opfermahl. Inzwischen waren anderen Göttern, deren Gunst man brauchen konnte, Tiere geopfert: dem Donar Ziegen, der Frija Schweine, den Übrigen Schafe und Rinder. Die Knochen, sorgsam vom Fleisch gelöst, brannten auf den Altären als Göttermahlzeit. Nachdem die Opferbrühe geschlürft war, begann das große Fressen, bei dem sich Menschen und Götter kultisch vereinigten.
Die halbe Nacht lang stand die Königin Chlotilde, umgeben von ihren Frauen und ihrem geistlichen Anhang, auf der Festungsmauer. Sie blickte mit brennenden Augen hinüber zum Wodanshügel und hörte erschauernd das Gebrüll der Tiere, das dumpfe Gegröle, das Getrommel. Immer neue Gebete schickte sie zum Himmel. Inbrünstig flehte sie,
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