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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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zurück. Als sie den Berg verließ, sah sie auf der Ebene die großen Himmelsfarben: Im Osten stiegen oxidrot gefärbte Wolken auf, ohne ihre bedrohliche Fracht zu verbergen; in dieser Nacht würde es regnen. Inmitten des ganzen Rosa und Violett sah sie im Westen die Venus aufsteigen, feuerrot und von grauen Halos umgeben. Es war schon Nacht, als sie durch die letzte Straße im Dorf zu ihrer Hütte hinunterging.
    Auf der Veranda saßen ein paar Mädchen und warteten auf sie, mit Francisco im Arm, der fest eingeschlafen war. Sie freute sich, sie zu sehen. Es hätte sie geärgert, wenn sie noch einmal hätte hinausgehen und sie suchen müssen, müde, wie sie war. Sie bat sie hinein, um die übrig gebliebene Milch zu trinken. Sie halfen ihr, die Vorhänge zuzuziehen, und zündeten ganz allein die Lampe an. Sie schlug ihnen vor, hier zu übernachten, da sie ohnehin allein war. Da zeigten sie ihr, was sie in ihren Taschen hatten: dicke und durchsichtige Flussschnecken in gewundenen Häuschen. Sie kochten sie mit Kräutern, und schon bald war die Hütte von einem köstlichen Duft erfüllt. Sie setzten sich um den Tisch, vor die großen Teller aus weißer Keramik, die dick und schwer wie Stein waren.
    Nach dem Abendessen, als der Junge im Bett war, begaben sich Erna und die Mädchen auf die Veranda, um noch einmal frische Luft zu schnappen, bevor sie schlafen gingen. Von seltsamen dicken Wolken verschleiert, kam der Mond heraus. Ein düsterer Wind kam auf, und sie hörten Vogelschwärme über die Hütten hinwegfliegen. Blitze zuckten über den Himmel, und einen Augenblick später fielen mit der Wucht von Kugeln die ersten Regentropfen vom Himmel, die die Mädchen in die Hütte trieben. Aber Erna blieb noch einen Moment draußen, allein.
     
     
    Sie dachte an die Nacht des Affen, als sie zum ersten Mal das Fort verlassen hatte, und an die Angst, die sie seinerzeit angesichts der grenzenlosen Unordnung des Lebens ausgestanden hatte. Aber bereits damals, oder vielleicht auch lange vorher, hatte Erna begriffen, dass ihr Leben dazu bestimmt war, etwas wunderlich zu verlaufen, allein schon aufgrund der Tatsache, dass sie in diesem Jahrhundert geboren war. Fast noch ein Mädchen, allein auf der Welt, ihr Baby ausgenommen, fühlte sie sich abgeschoben in ein exponiertes und unbestimmtes Grenzland. Die Epoche erforderte vollkommene Ruhe, die Menschen mussten so unerschütterlich werden wie Tiere.
    Die Blitze machten ihr Spaß; sie waren so unvorhersehbar. Alles, woran sie sich erinnerte, war im Nu verschwunden. Das Licht offenbarte nichts als ihre eigene Nichtigkeit.
    Als sie nach der erschöpfenden Reise durch die Wüste in Pringles ankamen, waren Erna und eine weitere blutjunge Strafgefangene durch zwei Offiziere von den anderen getrennt worden, denn das Los hatte entschieden, dass sie einem Leutnant mit Namen Paz zufiel, einem unbekümmerten jungen Mann, der ständig betrunken war, die Gesundheit eines robusten Tieres besaß sowie einen unerschütterlichen Schlaf. Als er sie aufnahm, gab er seiner anderen Frau den Laufpass. Seine Zimmer lagen, wie die aller Offiziere, im oberen Stockwerk des Casinos. Die Türen gingen auf einen Gang hinaus, der zum Hauptsalon führte. Paz verfügte über zwei große Zimmer, die mit Teppichen ausgelegt und ganz mit antiken und dunklen Gegenständen voll gestopft waren, darunter eine Badewanne aus Mahagoni, in der er zweimal täglich ausgiebig badete.
    Für sie war es ein Leben in völliger Abgeschiedenheit, denn sie verließ ihre Wohnung allenfalls, um sich mit den anderen Frauen auf den Gängen oder in den benachbarten Zimmern zu treffen. Nie gingen sie hinunter. Von den Fenstern aus sah sie nur die Innenseite der Zäune und darüber den Himmel. Aber sie lebten in der Nacht und schliefen den lieben langen Tag bei zugezogenen Fenstern. Sie fand dieses Leben angenehm und poetisch. Sie liebte den diskreten Lichtschein der Petroleumlampen, der zwischen den Wand- und Lampenschirmen hindurchschimmerte. Es war eine willkommene Abwechslung nach den Lichtexzessen und den Unbilden der Reise.
    Irgendwie ließ der Leutnant durchblicken, dieses Arrangement sei nur vorübergehend, denn er erwarte jeden Tag die Ankunft einer Liebsten aus Europa, die mit dem Auto aus Buenos Aires kommen würde. Die Vorstellung erschien unglaublich, aber sie stimmte. Verschiedene Offiziere hatten bereits solche Gespielinnen, und Erna fragte sich, welch exorbitante Summen sie ihnen wohl boten, um sie dazu zu bewegen, ins

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