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Die Meute der Morrigan

Die Meute der Morrigan

Titel: Die Meute der Morrigan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat O'Shea
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Radaircs. Obwohl sie wieder sehr viel schneller vorankamen, erfüllte
die Vorstellung, die Mórrígan könnte immer näher kommen, Pidge mit Grausen. In
seiner Einbildung wurden die Hufschläge lauter, und er konnte das gequälte
Schnauben ihres Pferdes hören und das Schlagen ihrer Beine gegen seine Flanken.
    Jetzt erreichten sie endlich
das Seeufer, und sie versuchten, ihrer Furcht Herr zu werden. Wegen der
Verzögerung durch den Daumenabdruck hatte die Mórrígan tatsächlich aufgeholt,
aber sie war in Wirklichkeit nicht so nah wie in Pidges fieberhaften Gedanken.
    Radairc flog über den See und
rief:
    «Schnell, schnell!»
    Pidge wühlte aufgeregt in
seiner Tasche nach einer Haselnuß. Noch größere Angst befiel ihn, als seine
Finger entdeckten, daß der Beutel leer war. Er zog ihn heraus und schüttelte
ihn, bevor er ihn wegwarf und noch einmal in seiner Tasche suchte.
    In einer flusigen Ecke fand er
die allerletzte Haselnuß, und er atmete zitternd vor Erleichterung auf. Er
streckte die Hand aus, und die Nuß bebte mit ihr.
    Die Nuß sprang auf; elende
Verzweiflung durchfuhr ihn, als er zwei völlig leere Schalenhälften auf seiner
Hand tanzen sah.

 
     
     
     
     
     
    idge
erstarrte.
    Er sah unverwandt die leeren
Schalen an, in der törichten Erwartung, daß etwas darin erscheinen müsse. Mit
jeder Sekunde, die verging, kam die Mórrígan näher, und in seinem Kopf tobte
ein Aufruhr von Verwirrung und Schrecken.
    Es würde doch bestimmt,
bestimmt etwas geschehen?
    Man wußte doch bestimmt,
bestimmt, in welcher Not sie waren?
    Schließlich mußte er sich im
Innersten eingestehen, daß die Nuß leer und nutzlos war, und mit einem Stöhnen,
das aus tiefster Seele kam, warf er die Schalen weg.
    Er wußte nicht, was er tun
sollte. Er wußte nicht, wohin er sich wenden sollte.
    Vergebens durchsuchten seine
Hände die Taschen in der Hoffnung, doch noch eine allerletzte Nuß zu finden;
und dabei starrte er eine der Nußhälften an, die auf dem See gelandet war und
dort leise schaukelte.
    Brigit, die immerzu nach hinten
sah und kaum wahrnahm, was geschah, sagte: «Warum beeilt er sich nicht? Warum
beeilt er sich denn nicht?» — doch ihre Worte erreichten Pidge nicht in seiner
Panik. Durch seine verworrenen Gedanken drang die Erkenntnis, daß die
Schalenhälfte auf dem See größer wurde.
    In der Zeit, die er brauchte,
um einen erlösenden Atemzug lang Luft zu schöpfen, war aus der Nußschale ein
kleines, rundes Boot geworden. Pidge packte Brigits Hand, und sie sprangen
hinein. Er suchte Ruder oder Paddel, aber es waren keine da. Sie hatten sich
kaum niedergelassen, als das Boot sich in Bewegung setzte. Schnurgerade fuhr es
über die dunkelgrüne, glasige, geheimnisvolle Oberfläche und schien mehr darauf
zu gleiten als das Wasser zu durchschneiden.
    Was wird sie tun, wenn sie ans
Ufer kommt? fragte Pidge sich. Er schloß seine Finger fest um den Kieselstein.
Sie kriegt ihn nicht! Niemals! Ich habe gesehen, wie sie wirklich ist, und ich
will lieber sterben, als ihn ihr in die Hände fallen zu lassen.
    Hinter ihnen entstand an Land
ein Tumult, als die Hunde das Ufer erreichten und dort schnüffelnd und winselnd
auf und ab liefen.
    Und dann kam sie, die
Drei-Eine; sie sprang vom Rücken des abgehetzten, dampfenden Pferdes, und sie
sah groß und schön und zornig aus, wie sie da am Rande des Sees stand. Das
Pferd scheute, und obwohl es erschöpft war, rannte es sofort davon.
    Pidges Augen sprühten Feuer. Er
hob die Hand, die den Kieselstein hielt
    «Der See ist unergründlich
tief», schrie er. «Ich werfe den Kiesel hinein.»
    Diese Drohung versetzte die
Mórrígan in zorniges Erstaunen. Pidges kühne Worte dröhnten ihr in den Ohren.
Daß dieser Augenblick die unfaßbare Möglichkeit ihrer Niederlage bedeuten
könnte, beherrschte sie als einziger Gedanke. Er hämmerte wie Pulsschlag in
ihrem Kopf und stachelte sie zum Handeln an.
    «Halt!» kreischte die Mórrígan;
das Blut auf dem Stein verlangte nach ihr — und etwas von seiner bösen Kraft
drang in das kleine Boot ein, so daß es schwankte.
    Pidge fühlte, wie sich der
Blick der Mórrígan brennend in seinen Kopf bohrte. Er wurde in einen
traumähnlichen Zustand versetzt.
    Das Blut auf dem Stein bekam
Macht über seinen Kopf. Er spürte ein Vibrieren unter seinen gekrümmten
Fingern, und der Griff lockerte sich. Gegen seinen Willen begann seine Hand,
sich noch höher in die Luft zu recken.
    Plötzlich schleuderte die
Mórrígan ihren Arm hoch über ihren

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