Die Meute
grünen Wand. Der Sturm hatte wirklich alles durcheinandergebracht. Die Hälfte der Männer war nicht zum Dienst erschienen. Die anderen hatten so lange Streife geschoben, daß sie beinahe im Stehen schliefen.
»Augenblick, Mr. Harding«, sagte er zu Larry. »Ich muß noch etwas nachsehen.« Die Insel war nur mit Booten oder Hubschraubern zu erreichen. Aber das Wasser war für kleine Boote zu unruhig, und die größeren hatten mit einem gestrandeten Tanker zu tun. Der stürmische, böige Wind erlaubte den Einsatz von Hubschraubern nicht.
Larry wartete geduldig am anderen Ende der Leitung. Die Polizei würde ihm nicht helfen können, das wußte er.
»Entschuldigen Sie, Mr. Harding, aber ich versuche, einen Weg zu finden, wie wir Ihnen helfen können. Wir haben ja selbst Probleme, Stromausfälle, geborstene
Wasserleitungen und so weiter. Geben Sie jetzt gut acht. Erklären Sie mir genau die Lage des Hauses. Sobald es das Wetter erlaubt, schicke ich Leute zu Ihnen rüber. Solange Sie das Haus nicht verlassen, besteht wohl keine große Gefahr. Ist das klar?«
Zu klar. Von der Polizei war keine Hilfe zu erwarten.
»Wie lange, glauben Sie, wird es dauern, bis jemand herkommt?«
»Mein Gott«, sagte Sergeant Stromfeld und richtete einen verzweifelten Blick zur Decke. »Ich wünschte, ich könnte Ihnen das sagen. Zwei Tage vielleicht, vielleicht drei, vielleicht auch nur einen. Hier schneit es immer noch wie verrückt, wissen Sie.«
Larry wußte das nicht. Es war ihm auch gleichgültig. Zwei Tage. Mit mühsam beherrschter Stimme erklärte er Sergeant Stromfeld die Lage des Hauses. »Und sagen Sie Ihren Leuten, Sie sollen Gewehre mitbringen.«
Stromfeld schrieb das auf seinen Notizblock. »In Ordnung, Sir.«
»Hören Sie – gibt es vielleicht jemand anderen, der uns früher helfen könnte?«
Stromfeld ging die Liste der Notdienste durch. »Sie könnten es bei der Küstenwache versuchen«, schlug er vor. »Jedenfalls würde ich Ihnen raten, im Haus zu bleiben.«
»Natürlich. Vielen Dank«, sagte Larry, bemüht, seine Worte nicht sarkastisch klingen zu lassen.
»Und vergewissern Sie sich, daß die Türen verschlossen sind.« Wenn man den Verrückten geduldig zuredete, bekam man sie leichter vom Telephon.
»Danke«, wiederholte Larry und legte den Hörer auf.
Stromfeld machte eine kurze Notiz für die Einsatzzentrale. Er würde den ersten verfügbaren Mann auf die Insel schicken, sobald die See sich beruhigt hatte.
Stromfeld persönlich hielt es für Zeitverschwendung. Aber auch so etwas gehörte zu seinem Job.
Die Aufmerksamkeit des Schäferhundes galt nur dem Haus. Sein Feind mußte sich dort drinnen befinden. Die Meute würde erst sicher sein, wenn es ihn nicht mehr gab. Die Meute würde warten.
Die Dogge erwachte als letzte. Sie hatte vom warmen Haus ihres früheren Herrn geträumt. Als sie jetzt aufstand, schmerzte das linke Hinterbein. Vor Jahren hatte sie einmal ein Auto verfolgt, und das Bein war vom Hinterrad überrollt worden. In sehr kalten Nächten tat es noch weh. An diesem Morgen war die Temperatur unter dem Gefrierpunkt.
Diane lag im Halbschlaf, als Larry hereinkam. Er beugte sich über sie und küßte sie. »Ich liebe dich wirklich«, flüsterte er und ging wieder hinaus.
Obwohl sie seine Worte gehört, seinen Kuß gespürt hatte, ließ sie ihre Augen geschlossen und sagte nichts.
Daß auch die Küstenwache nicht helfen konnte, überraschte Larry nicht. Sie hatte schon genug mit den Überlebenden eines gestrandeten Frachters zu tun. Zwei Tage, hatte der Einsatzleiter gesagt. Bleiben Sie bis dahin im Haus. Und keine Angst, es sind ja »nur Hunde«.
Resigniert hatte Larry aufgelegt. Von außen war keine Hilfe zu erwarten. Er hatte alles versucht. Seine Frau konnte ihm keinen Vorwurf machen. Jetzt war er auf sich gestellt. Das gefiel ihm. Völlig auf sich gestellt.
Die erste Dämmerung drang durch die Fenster, als er zu überlegen begann. Es war eine Art Ingenieurproblem. Wie brachte man mit unzureichenden Mitteln und unter schwersten Bedingungen sechs Menschen von Punkt A zu Punkt B? Ein gar nicht so seltenes Problem. So etwas hatte er schon öfter gelöst.
Was er zunächst überlegen mußte, war ... Er zögerte. Wenn es mißlang?
Es mußte gelingen. Für einen Mißerfolg war in seinem Plan kein Raum. Wenn er alles methodisch durchdachte ...
Und wenn etwas Unerwartetes, Unvorhersehbares eintrat? Wer würde seine Kinder retten? Und die Frauen -seine Mutter, Diane und Corny?
Ruhig
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