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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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umgekehrt sein. Welche Gesetzmäßigkeiten verbargen sich dahinter? Oder gab es gar keine?
    »So ist es.« In Montellas Stimme schwang Stolz mit. »Ich habe sie besiegt. Drei Tage lang wuchsen mir die Bubonen wie Hörner aus Achseln und Leisten hervor, das Fieber schien mich zu verglühen, ich roch aus dem Mund wie verfaultes Vieh. Am vierten Tag wollte ich in den wenigen Momenten, da ich bei klarem Verstand war, sterben, ich glaubte, dem Erzengel, dem Teufel und dem Erhabenen abwechselnd gegenüberzustehen. Am fünften Tag merkte ich irgendwann, dass ich nicht gestorben war, und vom sechsten Tage an ging es mir stetig besser. Am zwölften Tag schließlich kletterte ich mit Hilfe meiner Söhne von der Zimmerdecke herab.«
    »Wie? Von der Zimmerdecke?«
    »Genau von dort. Wisst Ihr das denn nicht? Pestkranke werden möglichst hoch gelagert, da die tödlichen Miasmen nach oben steigen, niemals nach unten. So können sie den Gesunden nichts anhaben. In den zwölf Tagen meiner Krankheit starben Hunderte, wenn nicht Tausende einen elenden Tod. Die Totengräber wussten bald nicht mehr ein noch aus. Sie kamen mit der Arbeit nicht nach. Die vorgeschriebene Tiefe für die Erdlöcher war nicht mehr einzuhalten.« Montella nahm zwei Hirseklößchen auf einmal, eines mit Ingwersoße, eines mit Minzsoße, und aß sie mit gutem Appetit.
    »Welche Tiefe ist denn vorgeschrieben?«
    »Auch das wisst Ihr nicht? Mir scheint, Ihr hattet noch niemals ernsthaft mit der Geißel zu tun. Nun, schätzt Euch glücklich, wenn es so ist. Wisset also, dass die Aushebung mindestens zweieinhalb, besser drei Ellen tief sein soll, weil nur auf diese Art der gefährliche Gestank, der von den Leichnamen ausgeht, vermieden werden kann. Aus demselben Grund müssen Särge mit Pesttoten auch luftdicht verschlossen werden. Womit, darüber streiten die Gelehrten noch. Manche sagen, das Harz der Pinie sei am besten, andere bevorzugen Pech, wieder andere schwören auf Gummiarabikum. Ich jedenfalls hatte dem Tod ein Schnippchen geschlagen, was leider nicht für alle Angehörigen meiner Familie galt. Eine Woche später erwischte es meine liebe Frau, Gott hab sie selig. Sie starb nach nur vier Tagen im Fieberwahn. Wie gern hätte ich noch ein Wort mit ihr gewechselt, hätte ihr gesagt, wie sehr ich sie liebe und wie sehr ich sie vermissen würde, allein, sie erlangte das Bewusstsein nicht mehr.« Montella griff erneut zu den Hirseklößchen, ließ sie dann aber liegen.
    »Meine Braut starb ebenfalls an der Pest«, sagte Vitus, und er mühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben, denn bei Montellas Schilderung waren die eigenen Schreckensbilder wieder hochgekommen, das ganze Elend, der verzweifelte Kampf, den er gegen die Geißel geführt und letztendlich verloren hatte. »Es ist noch nicht einmal ein Jahr her.«
    »Oh, das tut mir sehr Leid für Euch,
amico mio!
Wirklich sehr Leid.« Der Kaufmann nahm Vitus’ Rechte und drückte sie. »Jetzt begreife ich, warum Ihr so viel wie möglich über den schwarzen Tod in Erfahrung bringen wollt. Sicher habt Ihr es der Sterbenden versprochen.«
    »Das habe ich. Ich will die verfluchte Krankheit besiegen, und dazu muss ich alles über sie wissen. Irgendwo muss sie eine Schwäche haben, und mit Gottes Hilfe werde ich diese aufspüren. Und dann werde ich sie töten wie eine Viper. Doch zuvor habe ich noch einen langen Weg mit meinen Gefährten vor mir. Ich will nicht nur nach Venedig, sondern weiter bis nach Padua. An der dortigen Universität lehrt ein berühmter Professor, dem man nachsagt, er habe bedeutende Erfolge gegen die Geißel zu verzeichnen. Sein Name ist Girolamo. Mit ihm will ich mich austauschen.«
    »Dazu wünsche ich Euch alles Glück und Gottes Segen,
amico mio!
Schon viele Ärzte haben sich bemüht, hinter das Geheimnis des schwarzen Todes zu kommen, und keinem ist es bisher gelungen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, warum ausgerechnet Ihr es sein solltet, der Erfolg hat. Andererseits – warum solltet Ihr es nicht sein? Ich jedenfalls will Euch gerne mit all meinem Wissen helfen, nur fürchte ich, es wird nicht reichen.«
    »Dennoch möchte ich mich an anderer Stelle ausführlich mit Euch unterhalten, Signore, und bei der Gelegenheit auch ein paar Aufzeichnungen machen.«
    Montella wischte sich schnaufend den Schweiß vom Gesicht. »Täusche ich mich, oder ist es noch heißer geworden? Aber um Eure Frage zu beantworten: Gern will ich Euch Rede und Antwort stehen, bestimmt nur die Zeit und

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