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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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einen eigenen Kreis bildeten. Braut und Bräutigam saßen in der Mitte vor einem flachen Tischchen und wirkten etwas verloren, denn niemand außer den Dienern kümmerte sich im Augenblick um sie. Unter den Männern erkannte Vitus Harun el-Chalidân, ferner Faik er-Raschûd, den Vater des Bräutigams, der eine prächtige indigoblaue Galabiya trug, und Moktar Bônali. Er trat vor und sagte: »Sîdi Harun, ich hoffe, wir stören nicht?«
    »Wie könnte der Retter meines Magens jemals stören?«, versetzte der graubärtige Mann strahlend. »Nimm mit deinen Freunden an der Tafel Platz. Du musst unbedingt die in Ingwersoße getauchten Hirseklößchen probieren. Sie sind köstlich und bekömmlich!« Er strich sich über den Bauch, wie um seine Worte zu unterstreichen.
    Vitus nahm eines und biss hinein, obwohl er schon mehr als satt war. Höflich lobte er die Speise und fuhr dann fort: »Leider sind wir heute nur zu viert, ich nehme an, Ngongo und Wessel sind wieder einmal bei deinen und Sîdi Moktars Wachen. Es scheint ihnen unter den Soldaten zu gefallen.«
    »So ist es, mein Freund«, warf der zierliche Handelsherr ein. »Beide fragten mich gestern, ob sie nicht in meine Dienste treten dürften, das freie Leben als Krieger und die damit verbundenen Gefahren gefielen ihnen. Da ich weiß, dass du dich nicht als ihr Anführer verstehst, sie mithin für sich selber sprechen können, stand ihrem Wunsch nichts entgegen. Sie werden mich, nachdem ich meine Geschäfte abgewickelt habe, zurück nach Fez begleiten.«
    Auf des Magisters Stirn bildeten sich Kummerfalten. Er blinzelte. »Die guten Freunde, so gehen sie dahin.«
    »Wui, wui, futsch un perdü, die Gacken!«
    Vitus sagte: »Dennoch freue ich mich für sie. Sie werden mit dir einen fürsorglichen Gebieter erhalten.«
    »Danke, danke«, wehrte Sîdi Moktar ab. »Bevor du mich in Verlegenheit bringst, möchte ich dich Signore Giancarlo Montella vorstellen. Er führt das gleichnamige Handelshaus in Chioggia bei Venedig. Mit seiner Hilfe werde ich versuchen, ein paar Hundert meiner gelben Pantoffeln in Italien abzusetzen. Signore, das ist der Cirurgicus Vitus von Campodios. Und das sind seine Freunde: der Magister Ramiro García, der Zwerg Enano und der stumme Alb aus Deutschland.«
    Ein rundlicher älterer Mann nickte den Gefährten freundlich zu. Er wirkte unter den anderen Männern wie ein Fremdkörper, denn er trug weder Burnus noch Dschellaba, sondern die europäische Schaube, einen weiten, nach vorn offenen Überrock, in dessen langen Ärmeln sich Schlitze zum Durchgreifen befanden. Auf den Kopf hatte er ein Barett gestülpt, unter dessen Rand eisgraue Haare wie Borsten hervorstanden. Infolge seiner Kleidung, die keineswegs den heißen Temperaturen angemessen war, hatten sich auf seiner Stirn und unter den Tränensäcken Rinnsale von Schweiß gebildet. Diese fortwährend mit einem großen Tuch abwischend, sagte er zu Vitus: »So, so, ein Cirurgicus seid Ihr, interessant, interessant.«
    »Ihr sprecht Spanisch, Signore?«, wunderte sich Vitus.
    »Ich bin Kaufmann.« Montella sagte es mit einer Selbstverständlichkeit, als bedingte das eine das andere. »Nun, ich hörte von Sîdi Moktar, dass Ihr mit Euren Gefährten nach Venedig wollt. Eine gute Entscheidung, denn
La Serenissima
ist eine schöne Stadt, auch wenn sie sich noch immer nicht ganz von den Auswirkungen der Pest vor drei Jahren erholt hat. Ja, damals hätte sie einen guten Cirurgicus bitter nötig gehabt. Die Menschen starben wie die Fliegen und die Ärzte mit ihnen – trotz Pestmaske und tausenderlei anderer Vorsichtsmaßnahmen.«
    Vitus lehnte ein weiteres Hirseklößchen, das Sîdi Harun ihm anbot, ab und antwortete: »Eben weil der Pestausbruch erst so kurz zurückliegt, habe ich mir Venedig zum Ziel gesetzt. Ich möchte dort alles über die Geißel erfahren, möchte wissen, was die Stadt an Schutzmaßnahmen traf, und möchte mit Menschen reden, die überlebten.«
    Montella lachte gutmütig. »Da habt Ihr es nicht weit. Einer von ihnen sitzt Euch gegenüber.«
    »Was? Ihr habt den schwarzen Tod besiegt?« Vitus musterte den Italiener genauer. Der sah eigentlich nicht so aus, als habe er große Widerstandskraft. Er war viel zu dick und hatte geplatzte Äderchen auf der Nase, was auf zu hohen Druck des Blutes schließen ließ. Andererseits hatte Montella keinen Grund, ihn anzulügen. Ein neues Rätsel, das die Pest ihm aufgab: Schwachen unterlag sie und Starke besiegte sie. Aber es konnte auch genau

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