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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Einzelstücken als auch der Brautpreis, bestehend aus zwanzig Kamelen, eingehend begutachtet worden.
    Heute jedoch war das Zelt nahezu leer. Nur Kamar, der Bräutigam, befand sich mit seinem Vater, den Brüdern und einigen engen Verwandten darin. Er hatte sein schönstes Seidengewand angelegt, eine rote mit breiten Goldfäden durchzogene Dschellaba, dazu eine smaragdgrüne Schärpe, in der ein langer Dolch steckte. Auf dem Kopf trug er einen hohen Turban, ebenfalls in Rot, geschmückt mit einer kostbaren Goldbrosche. Alles in allem ähnelte er dem Bildchen, das Budûr kannte, in keiner Weise, zumal ihm auch ein Bart gewachsen war.
    Er blickte angespannt drein, denn er saß seit über einer Stunde auf dem Rücken einer prächtig geschmückten Eselsstute und wartete darauf, dass die Zeremonie endlich beginnen möge. Draußen schwoll der Lärm noch stärker an. Die stampfenden Schritte der Tanzenden ließen den Lehmboden erbeben, rhythmisches Klatschen setzte ein, Fetzen eines Liedes wehten herüber. Für einen Augenblick wünschte Kamar sich, er gehöre zu den Schaulustigen, damit er nicht länger warten müsse, aber dann biss er die Zähne zusammen und fasste sich weiter in Geduld.
    Wie hatte sein Vater vorhin gesagt? »Auf Frauen wartet man immer. Das fängt bei der Hochzeit an und endet erst mit ihrem Tod. Je schneller du dich daran gewöhnst, desto besser.«
    Ob Budûr auch so aufgeregt war wie er? Nein, er war ja gar nicht aufgeregt. Jedenfalls nicht sehr. Außerdem hatte ihm seine Mutter haarklein den Ablauf der Feierlichkeiten erklärt. Erst wenn die Braut draußen mit ihrer Familie erschienen und einmal um den Festplatz geleitet worden war, durfte das Zeichen gegeben werden. Er würde hinausreiten und seine Braut zum ersten Mal sehen. Ob sie wirklich so hübsch war, wie die Frauen in seines Vaters Harem munkelten?
    Ihm blieb keine Zeit, lange darüber nachzusinnen, denn in diesem Augenblick stürzte einer seiner Onkel ins Zelt und rief: »Es geht los, es geht los! Die Braut wartet schon!«
    Kamar presste die Zähne zusammen und gab seinem Grautier einen Klaps. Schon ist gut!, dachte er im Anreiten, doch dann galt seine ganze Aufmerksamkeit nur noch dem Geschehen auf dem Platz. Es war ein großer Platz, gesäumt von zahllosen Menschen, die alle bester Stimmung waren. Sie sangen und klatschten und hüpften in einem fort. Manche von ihnen, die ewig Hungrigen, hatten sich bereits bei den Garküchen angestellt. Andere lachten lauthals über Purzelbaum schlagende Narren und Grimassen schneidende Possenreißer. Wieder andere reckten die Hälse, tuschelten und konnten es nicht abwarten, bis endlich der Festakt begann.
    Und inmitten all dieses Jubels und Trubels wartete die Braut.
    Kamar hatte sie sofort an dem wunderschönen Gewand und dem Krönchen erkannt. Neben ihr standen drei ebenso kostbar gekleidete kleine Mädchen – als Zeichen der Fruchtbarkeit, mit der die Braut gesegnet sein sollte. Langsam ritt er weiter, vorbei an dem schweren Tisch des Stadtbeamten, auf dem die Urkunde vorbereitet worden war, weiter zur Mitte, wo Budûr tief verschleiert seiner harrte. Hinter ihr hatte ihre Familie Aufstellung bezogen, allen voran der stolze Vater Harun el-Chalidân. Auch Kamars Vater war da. Er ging mit allen männlichen Verwandten dicht hinter ihm, erst danach folgten ihre Frauen.
    Kurz bevor er seine Braut erreicht hatte, saß Kamar ab. Seine Bewegungen waren langsam und würdevoll. Um ihn herum erstarb die Musik; Lachen und Gesang hörten auf. Stille breitete sich aus, nur die Geräusche der Stadt waren in der Ferne zu hören.
    Kamar sah, dass Budûr den Kopf züchtig gesenkt hielt. Er ging auf sie zu und ergriff ihre Hände. Sie waren wie seine eigenen vollständig rot gefärbt und trugen grobmaschige Fingerfesseln aus starkem gelbem Faden – Sinnbild dafür, dass sie ihre Selbständigkeit noch nicht erreicht hatten. Der Brauch wollte es, dass zuerst er Budûrs Fesseln auflöste, danach sie die seinen. Beide gingen ernsthaft und konzentriert zu Werke, wohl wissend, dass Hunderte von Augenpaaren auf ihnen ruhten.
    Als sie die Finger frei hatten, zögerte Kamar kurz, denn gleich würde sich entscheiden, was Allah der Allwissende und Vorausbestimmende ihm zugedacht hatte: eine schöne oder eine hässliche Frau. Er griff zum Schleier und nahm ihn ab. Budûr blickte auf, ruhig und selbstbewusst, und Kamar sah, dass sie schöner war, als er es sich in seinen kühnsten Träumen ausgemalt hatte. Er fühlte sich wie

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