Die Mission des Wanderchirurgen
wisst doch bereits, dass man für diese Profession die Augen eines Luchses, die Hände einer Jungfer und den Fleiß einer Biene braucht.«
Vitus lachte. »Ja, das ist mir bekannt, auch wenn ich es nicht so schön hätte ausdrücken können. Nun, Professor, um es kurz zu machen: Aus bestimmten Gründen habe ich mir zur Aufgabe gemacht, die Pestis zu besiegen. Dazu sammle ich alles Wissen, dessen ich habhaft werden kann, um es abzuwägen und meine Schlüsse daraus zu ziehen. Ihr nun seid eine der bedeutendsten Persönlichkeiten auf diesem Gebiet, und ich wäre Euch außerordentlich dankbar, wenn Ihr mir einen Teil Eurer knappen Zeit schenken würdet.«
Häklein wunderte sich. »Mein Wissen um die Pest ist wahrhaftig nicht außergewöhnlich, Cirurgicus. Ich kenne jemanden, der da viel besser Bescheid weiß, und das sogar aus eigener Erfahrung als Pestarzt. Sein Name ist Dottore Maurizio Sangio. Ein exzellenter Physikus, der in Venedig wirkt.«
»Von ebenjenem habe ich ein Empfehlungsschreiben an Euch.« Vitus übergab das Papier.
»Wie bitte? Ihr versteht es, mich immer wieder in Erstaunen zu versetzen, Cirurgicus.« Häklein erbrach das Siegel und begann zu lesen:
Venedig, 8. Sept., A. D. 1579
Mein lieber Freund,
lange haben wir voneinander nichts gehört, umso mehr hoffe ich, dass Ihr bei guter Gesundheit seid. Ich selbst will ebenfalls nicht klagen, auch wenn das Alter des Häufigeren schon an meinen Knochen nagt. Ich bin gewiss, Euch erging es wie mir: Immer wieder in der letzten Zeit wollte ich zur Feder greifen, um Euch einen Gruß zu senden, und immer wieder kam mir etwas dazwischen. Die Arbeit, die Arbeit … Ihr kennt das ja.
Heute jedoch will ich mein Vorhaben endlich in die Tat umsetzen, zumal ich einen besonderen Grund dazu habe. Der Grund ist ein junger Cirurgicus, Vitus von Campodios mit Namen, der sich aufgemacht hat, die Pestis niederzuringen – ein Unterfangen, das wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt ist. Doch dieser Cirurgicus hat einen eisernen Willen und ist zudem blitzgescheit.
Lasst ihn deshalb am Born Eures umfangreichen Wissens teilhaben, mein Freund. Ihr werdet sehen, Vitus von Campodios ist ein angenehmer Mensch, freundlich, aufmerksam, von geschliffener Höflichkeit.
Ich hoffe, Ihr lenkt in Bälde wieder einmal Eure Schritte nach Venedig, damit wir plaudern können wie in alten Tagen. Bis dahin bin ich
Euer stets verbundener
M. Sangio
Häklein faltete den Brief wieder zusammen. »Soso, die Pest wollt Ihr also besiegen«, sagte er nachdenklich. »Wenn Ihr Euch da mal nicht zu viel vorgenommen habt. Doch sei es, wie es sei: Natürlich könnt Ihr auf meine Hilfe zählen. Allerdings nicht hier im Hörsaal, sondern eher, äh, im Privaten. Sagt, habt Ihr schon eine Wohnmöglichkeit in Padua?«
»Ja, Professor, die haben wir. Einer Eurer Studenten, sein Name ist …«
»Carlo!« Der stämmige Jüngling war zurück aus den Katakomben der Universität und hatte den letzten Teil der Unterhaltung mitgehört.
»Richtig, Carlo war so freundlich und hat uns gestern geholfen, eine Bleibe in den Studentenunterkünften zu finden. Einfach, aber günstig. Wir haben uns bereits eingerichtet.«
Häklein nestelte den Brief in die Tasche seines Wamses. »Nun, ich muss gestehen, ich bin Junggeselle, und deshalb ist mein Domizil nicht sonderlich heimelig, so dass wir uns weder bei mir noch bei Euch austauschen sollten. Ich denke, wir treffen uns hier in der Universität, und zwar in dem kleinen Studierzimmer neben der Bibliothek. Wäre Euch der morgige Nachmittag recht? Die Vorlesung ist dann vorbei, und ich kann Euch ohne Zeitdruck zur Verfügung stehen.«
»Mit Freuden, Professor, mit Freuden!« Vitus’ Augen leuchteten. »Ich habe nicht geglaubt, dass alles sich so problemlos anlassen würde.«
Häklein lächelte. »Ich bin ein Diener der Wissenschaft. Und als ein solcher tue ich alles, um sie voranzutreiben. Nun aber muss ich mich empfehlen.«
Sprach’s, grüßte und ging.
Das Studierzimmer mit seinem großen, dunklen Eichentisch, den messingenen, mildes Licht verbreitenden Lampen und den gut gepolsterten Stühlen lud förmlich zu einem regen Gedankenaustausch ein. Dennoch wussten Vitus und der Magister nicht recht, wie sie die Unterhaltung mit dem Professor beginnen sollten. Nach einer Weile, die Begrüßungsfloskeln waren längst ausgetauscht, half Häklein ein wenig nach, indem er fragte: »Cirurgicus, wo habt Ihr denn den Zwerg gelassen? Er ist doch nicht etwa
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