Die Mission des Wanderchirurgen
niederschrieb:
DIEBOTSCHAFTISTKETZERISCH
DOCHWAHRDERFLOHBRINGTDIEPE
STERSTTOETETERDIERATTE
DANACHWENNSIEERKALTETDENM
ENSCHENDANNDERMENSCHDENMEN
SCHENURSACHEVONALLEMABERIS
TDERFLOHDIESERKANNTEFRANCES
COPETRARCA
Vitus griff noch einmal zur Feder und schrieb die Nachricht verständlicher hin:
DIE BOTSCHAFT IST KETZERISCH ,
DOCH WAHR : DER FLOH BRINGT DIE PEST .
ERST TOETET ER DIE RATTE , DANACH ,
WENN SIE ERKALTET , DEN MENSCHEN .
DANN DER MENSCH DEN MENSCHEN .
URSACHE VON ALLEM ABER IST DER FLOH .
DIES ERKANNTE FRANCESCO PETRARCA .
Vitus las die Botschaft mehrfach leise vor. Dann sagte er: »Es muss anno 1351 ein großes Wagnis gewesen sein, den Floh als Pest-Verursacher zu bezeichnen. Man bedenke, wie viele Theorien von hochgelehrten Ärzten und Wissenschaftlern es gab, so genannte Erkenntnisse, die allesamt ganz anders klangen. Welt erschütternde Beben mit pestilenzialischen Ausdünstungen wurden als Grund genannt. Oder auch Himmelskonstellationen, in denen Saturn, Jupiter und Mars auf einer Linie standen – Zeichen des Himmels also, wenn nicht gar des Allmächtigen selber, dass die Menschheit gestraft werden müsse!«
Nach einer Pause fuhr er fort: »Was im Übrigen die Kirche bis heute nicht müde wird zu betonen: Überall da, wo Unwetter, Missernten oder Seuchen auf uns niederkommen, ist es eine Strafe des Allmächtigen für den armseligen Sünder auf Erden. Und da kommt nun dieser Francesco Petrarca und behauptet, das ganze Elend nehme seinen Anfang bei einem kleinen Floh.«
»Jetzt verstehe ich auch, warum der Dichter so eine Geheimniskrämerei um seine Botschaft machte.« Der Magister flüsterte unwillkürlich.
»Ja, die Erklärung des Cirurgicus ist überzeugend«, pflichtete Häklein bei. »Petrarca gilt zwar bis heute als streitlustiger, offen denkender Mann, doch so offen mochte er in dieser Hinsicht wohl doch nicht sein. Er hätte in Teufels Küche kommen können, wenn sein Gedankengut als Häresie abgestempelt worden wäre. Andererseits wollte er seine Erkenntnisse unbedingt der Nachwelt mitteilen. Ein Jammer, dass die Botschaft bis heute unbeachtet in diesem Archiv schmorte.«
Der Magister fragte: »Glaubt Ihr denn, Professor, dass der Floh tatsächlich die Ursache allen Übels sein kann?«
Häklein blickte aus gütigen Augen drein. »Warum nicht? Ich halte das für mindestens ebenso wahrscheinlich wie andere Theorien, auch wenn diese gewaltiger klingen.«
Vitus sagte: »Wir müssen Petrarcas Behauptung vor dem Hintergrund seiner Begegnung mit den Kartäusermönchen sehen. Beide erzählten ihm, dass sein Bruder als Einziger von rund dreißig Gottesmännern überlebte. Und nicht nur das: Gherardo gab ihnen darüber hinaus sogar die Sterbesakramente und begrub sie. Er hätte sich in dieser Zeit hundertmal oder tausendmal anstecken können, ja, müssen! Warum tat er es nicht? Weil er wusste, worauf er zu achten hatte: auf den Floh. Er hatte ihn als Überträger der Pestis entlarvt. Anders kann es nicht sein.«
Der Magister blinzelte. »Und was ist mit den Ratten? Spielen die überhaupt keine Rolle mehr?«
Häklein antwortete für Vitus: »Die Ratten sterben, wie uns bekannt ist, ebenfalls an der Pestilenzia, mein lieber Magister. Petrarca schreibt dies ja auch. Sie verenden wie die Haustiere, wie Rind, Ziege, Schaf oder Hund. Nur mit dem Unterschied, dass sie von Haus zu Haus ziehen oder gar über Land. Bei dieser Gelegenheit könnten die Flöhe auf ihnen überallhin reisen – und mit ihnen die Seuche.«
Der Magister nickte grübelnd. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint an der These zu stimmen. Der Floh benutzt die Ratte sozusagen als Transportmittel, um die Pest zu verbreiten.«
»Nicht ganz«, schränkte Vitus ein. »Ich denke, dem Floh ist es ziemlich egal, worauf er sitzt, Hauptsache, er hat ein Tier, das er als Wirt benutzen kann. Allerdings tötet er es auch, wie Petrarca uns versichert. Wie kann ein Floh eine Ratte töten? Wir sind da auf Vermutungen angewiesen. Wahrscheinlich aber scheint mir zu sein, dass der Biss dabei eine Rolle spielt. Wenn ich an meine arme Arlette denke: Auch sie war von einem Floh gebissen worden in der schäbigen Absteige
Golden Galley
…«
Der Magister räusperte sich. »Ja, das stimmt wohl. Interessant finde ich, dass Petrarca meint, der Floh töte erst die Ratte, dann, wenn sie erkaltet ist, den Menschen. Daraus schließe ich, dass eine tote Ratte für ihn nicht mehr anziehend ist, vielleicht, weil ihr Blut dann nicht
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