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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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wollen und ausgelassen zu feiern. Vitus’ Gefährten machten da keine Ausnahme. Sie hatten bei Wein und Tresterschnaps bis weit nach Mitternacht beisammengesessen. Der Alkohol hatte ihnen die Zunge gelöst und die Sinne betäubt. Fabio war immer wieder aufgefordert worden, seine Zauberkunststücke vorzuführen, was anfangs noch gut gelang, später aber mehr und mehr danebengeriet. Das Ei, das er sich aus dem Mund zu ziehen pflegte, hatte plötzlich kaputt am Boden gelegen, das Tuch, das er teilte, blieb zerschnitten, und sein Wams, das er weinselig ablegte, offenbarte ein Behältnis auf der Innenseite des Kragens, von dem ausgehend zwei Schläuche durch die Ärmel führten. Somit war das Geheimnis, wieso ihm Rebensaft aus den Händen laufen konnte, gelüftet. Doch diese kleinen Pannen hatten der guten Stimmung keinerlei Abbruch getan. Im Gegenteil, sie waren jedes Mal Anlass gewesen, erneut den Becher zu schwingen.
    Die Einzigen, die sich beim Alkohol zurückgehalten hatten, waren Vitus und Antonella. Fabio dagegen und auch der Magister und der Zwerg mussten am anderen Morgen bitter für ihre Unmäßigkeit büßen. Der Atem ging ihnen kurz und die Schädel wollten ihnen zerspingen. Selbst Guido, der sonst so Ernste und Bedächtige, litt heftige Kopfschmerzen. Er hatte seine fröhliche Ader entdeckt, mitgezecht und ein ums andere Mal am Feuer aufgespielt.
    Vitus blickte hinab auf die Elenden, die um das Dreibein herumkauerten, hatte ein Einsehen und holte vom Brunnen mehrere Kübel Wasser, die er den Leidenden über die Köpfe goss.
    Sie schüttelten sich wie die Pudel und fluchten und stöhnten, doch danach ging es ihnen ein wenig besser. Ja, der unzerstörbare Magister meinte sogar, eine salzige Suppe wäre jetzt willkommen. Salz gegen den Kater sei nun einmal sehr probat. Besonders, wenn im Inneren des Kopfes ein Schmiedehammer wüte. »Ein Jammertal, diese Welt!«, klagte er weiter. »Meine Berylle sind entzwei, die Sonne spielt hinter den Wolken Versteck, Regen ist im Anmarsch, der Winter ebenso, ganz zu schweigen von der Schlange Pest, welcher der Herrgott endlich den Hals umdrehen möge!«
    Erschöpft von der langen Rede ließ er sich zurücksinken.
    Vitus klopfte ihm auf die Schulter. »Du gibst mir das Stichwort, altes Unkraut.« Dann wandte er sich an alle: »Leider muss festgestellt werden, dass die Schlange Pest lebendiger ist denn je. Sie kriecht wie ein Lindwurm durch die Lande und stillt ihren mörderischen Hunger nach Menschenleben.«
    Er erzählte, was dem Magister und ihm in dem Bauernhaus widerfahren war, berichtete von den Leinenverbänden, mit denen vermutlich eiternde Bubonen versorgt worden waren, schilderte die verwaisten Ställe und endete schließlich: »Dass die Seuche auch schon über dieses Haus gekommen ist, haben wir gestern verschwiegen, weil wir euch den Abend nicht verderben wollten.«
    »Dio mio! Aiuto!«
, rief Fabio. »Nichts wie weg! Hier hält mich nichts mehr!«
    »Nein«, sagte Vitus und holte tief Luft, denn jetzt kam das, was bei der Gruppe einen Sturm der Entrüstung auslösen würde: »Wir sollten hier bleiben, und zwar mindestens für zwei Monate.«
    »Was?
Mamma mia!
An diesem Fleck? Sag das noch mal, Cirurgicus!«
    »No, no, nee, nee! Was tarrt das zinken?«
    »Meine Geige, sie darf nicht feucht werden! Sie braucht einen trockenen Platz!«
    »Hör mal, du Unkraut, du willst hier bleiben? Wieso hast du mir das nicht schon gestern gesagt?«
    Vitus schaute den kleinen Mann belustigt an. »Gestern Abend? Da galt deine ganze Aufmerksamkeit doch dem Roten von Fabio.«
    »Ja, ja, schon gut. Sprich nicht so laut.« Der kleine Gelehrte betastete seine Schläfen. »Ich ziehe die Frage zurück.«
    Vitus setzte sich mit ans Feuer. »Ich dachte mir schon, dass mein Vorschlag auf wenig Gegenliebe stoßen würde. Was ist mit dir, Antonella, du sagst ja gar nichts dazu?«
    Die Bürstenbinderin machte sich an dem Suppenkessel zu schaffen. Dann entgegnete sie: »Du wirst uns gleich sagen, was du damit bezweckst, Cirurgicus. Dann ist immer noch Zeit, dass ich mich äußere.«
    »Zapperlot, gut getruscht! Ich lenze dich, Trawallerin!«, fistelte der Zwerg.
    Vitus setzte sich bequemer hin. »Lasst es mich euch erklären, Freunde. Gewiss, auf den ersten Blick klingt mein Vorschlag verrückt, aber auf den zweiten und dritten Blick gewinnt er an Vernunft. Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist die Tatsache, dass die Pest bereits überall ist. Du selbst, Fabio, hast gestern gesagt, wir seien

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