Die Mission des Wanderchirurgen
Tag und Nacht jemand auf dem Posten sein. Ein beruhigendes Gefühl für die anderen.
Als der Ring an allen Stellen stetig brannte, ging Antonella auf Enano zu, beugte sich zu ihm herab und sagte: »Das hast du gut gemacht. Du besitzt zwar keine Stelzen mehr, aber für mich bist du trotzdem ein Riese.«
Dann küsste sie ihn vor aller Augen.
Im Feuerring, einen Tagesmarsch westlich von Piacenza,
12. Tag des Monats November, A. D. 1579
Ich habe beschlossen, meine Aufzeichnungen weiterzuführen, auch wenn die Erforschung der Pestis nicht mehr unmittelbarer Gegenstand meiner Eintragungen sein wird. Doch will ich der Reihe nach berichten. Nach den tief schürfenden Erkenntnissen über die Seuche, zu denen der Magister, Professor Girolamo von der Paduaner Universität und meine Wenigkeit beitrugen, habe ich mich mit meinen beiden alten Weggefährten auf die Rückreise nach England gemacht.
Der Marsch verlief bisher wenig angenehm. Nach einem heimtückischen nächtlichen Überfall auf unser Lager, den wir nur mit knapper Not abwehren konnten, hatten wir eine Begegnung mit dem schwarzen Tod! Alles das, womit wir uns in der Theorie beschäftigt hatten, wurde plötzlich grausame Wirklichkeit: Die Schlange Pest ist wieder erwacht und frisst ihre Opfer! Sie bedrängt uns von allen Seiten. Unsere Gruppe, zu der auch ein Überlandfahrer namens Fabio, ein Geigenbauer namens Guido und eine Bürstenbinderin namens Antonella gehören, beschloss deshalb vor drei Tagen, einen schützenden Feuerring um unser Lager anzulegen. Zwei Monate wollen wir so aushalten in der Hoffnung, die Schlange möge sich bis dahin totgelaufen haben.
Mit Vorräten und Wasser sind wir gottlob wohlversorgt. Das Glück im Unglück wollte es, dass wir in Fabio einen Händler getroffen haben, der auf seinem Wagen alles für einen Hausstand Notwendige transportiert. Er ist ein fröhlicher Mann, der eine Taube sein Eigen nennt, mit deren Hilfe wir den Kontakt zur Außenwelt aufrechterhalten können. Von seinen Zugpferden jedoch musste er sich trennen, die Gäule hätten im Ring zu viel Platz beansprucht, auch hätten sie wohl das Feuer gescheut. Er trieb sie schweren Herzens davon und überließ sie sich selbst. Umso größer war seine Freude, als sie wenige Stunden später wieder auftauchten und in respektvoller Entfernung zu grasen begannen. Seitdem hält er Verbindung zu ihnen, indem er ihnen öfter einen Gruß zuruft.
Über Guido, den Geigenbauer, und Antonella, die Bürstenbinderin, weiß ich nicht viel zu berichten. Nur dass Letztere sich gut mit dem Zwerg versteht. Ob da mehr ist als bloße Kameradschaft? In jedem Fall haben beide darauf bestanden, zusammen Wache zu gehen. Ich denke, ich werde ein Auge auf sie haben, damit der Streifengang nicht zum Schäferstündchen gerät …
Im Übrigen wird es, trotz aller widrigen Umstände, interessant sein, zu beobachten, wie sich Menschen auf engem Raum verhalten, wenn ihnen von außen große Gefahr droht.
Vitus saß auf einer Kiste und untersuchte Fabios Stirnwunde. Den Verband hatte er schon vor zwei Tagen entfernt, damit Luft an die Verletzung herankam. Seitdem war der Heilprozess gut vorangeschritten. In drei oder vier Tagen würden die Fäden gezogen werden können. »Oh, Cirurgicus, alles im Leben hat sein Gutes!«, sagte der Überlandfahrer lebhaft. »Wenn ich Weihnachten schon nicht zu Hause sein kann, so bleibt Miabella doch wenigstens mein schrecklicher Anblick erspart.«
Vitus lachte. »So schrecklich ist dein Anblick wahrhaftig nicht. Und wenn die Ligaturen erst einmal entfernt sind, wird kaum mehr als die kleinen Narben der Einstichstellen übrig bleiben.«
»Meinst du wirklich?
Fantastico!
Dann werde ich meinem Weib die Aufregung ersparen und ihr nichts von dem Überfall schreiben.«
»Das heißt, du willst Bussola wieder mit einer Botschaft nach Padua schicken?«
»So ist es,
amico mio,
ich kann es gar nicht erwarten, endlich mehr über mein Söhnchen zu erfahren.«
»Das verstehe ich. Wenn ich es recht bedenke, solltest du aber von unserem Feuerring berichten, damit sich zu Hause keiner Sorgen macht. Ich vermute, es hat sich mittlerweile bis Padua herumgesprochen, dass hier die Seuche wieder aufgeflackert ist. Vielleicht hat sie ja sogar schon Venetien erreicht.«
»
Certo, sì!
Das ist nicht auszuschließen, ich darf gar nicht daran denken! Ich werde zum heiligen Antonio beten, dass meinen Lieben nichts passiert. Am besten, ich schreibe gleich jetzt.« Fabio stand auf, um Feder und
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