Die Mission des Wanderchirurgen
Bald könnt Ihr wieder hüpfen wie ein Heuschreck. Aber Vorsicht, beginnt damit nicht zu früh, ihr jungen Leute mögt es ja immer nicht abwarten.«
Vitus lachte. »Ich bin schon über zwanzig, Doktor!«
Chamoucha tat, als sei er überrascht. »Bei Allah, dem Liebenden, Barmherzigen, so alt seid Ihr? Da steht Ihr ja fast schon an der Schwelle zum Greis! Erlaubt, dass ich Euch vorher noch rasch diese Salbe appliziere.« Er griff in seine Arzttasche und förderte ein kleines Döschen zu Tage. »Um Euren neugierigen Fragen zuvorzukommen, Herr Kollege: Es ist nur eine ganz einfache Salbe, hergestellt aus Rosmarinöl, vermengt mit einer Paste aus dem Samen des Butterbaums. Das Verhältnis beträgt drei zu sieben. Das Mischen erfolgt am besten mit einem nicht zu großen Spatel. Beim Vermengen ist darauf zu achten, dass die Bewegung nicht zu schlagend ist, dann verquicken die Teile sich inniger. Habe ich etwas vergessen?«
Wieder lachte Vitus. »Ihr habt mich durchschaut, Doktor. Nein, ich habe keine Fragen mehr. Leider gibt es solche Salben in England nur selten, weil die Rosmarinpflanze lediglich im Süden gedeiht. Aber ich habe ebenfalls etwas für Euch, wartet.« Er stand auf und humpelte in eine dunkle Ecke, wo eine Art Kiepe an der Wand lehnte. Er stöberte in ihrem Inneren und holte dann einen Schwamm hervor. »Wisst Ihr, was das ist?«
Chamoucha wunderte sich. »Ein Schwamm natürlich, einer, wie er zum Waschen täglich Verwendung findet.«
»Und doch hat es mit ihm eine besondere Bewandtnis!« Vitus’ Augen blitzten. »Er ist das, was die europäischen Ärzte
Spongia somnifera
nennen, ein Schwamm also, der mit Betäubungsflüssigkeit getränkt wurde. Jetzt ist er trocken, aber ihr braucht ihn nur mit Wasser zu befeuchten und unter die Nase eines Patienten zu halten, dann wird dieser alsbald das Bewusstsein verlieren, woraufhin ihr ganz ohne Eile eine schmerzfreie Operation durchführen könnt.«
Chamoucha drehte den Schwamm in den Händen, konnte aber nichts Außergewöhnliches an ihm entdecken. Dennoch war an den Worten seines jungen Kollegen nicht zu zweifeln. »Ich habe von dieser Methode schon gehört«, sagte er, »es ist viele Jahre her, ich studierte damals eine Zeit lang an der Universität zu Messina auf der Insel Sizilien, doch muss ich einräumen, dass mir die Schmerzstillung mit Hilfe des Stechapfels oder der Tollkirsche geläufiger ist. In jedem Fall danke ich Euch ganz herzlich. Ebenso wie ich Euch Dank sagen möchte für die vielen anregenden Gespräche, die wir in den letzten Wochen führten. Ich muss gestehen, ich habe in dieser Zeit einiges von Euch gelernt, was ich – ehrlich gesagt – nicht unbedingt erwartet hätte. Jede Medizin dünkt sich, die Beste der Welt zu sein, so auch die arabische.«
Er machte eine Pause und hob die Hand, um die Erwiderung seines Gegenübers zu unterbinden. »Wartet, ich möchte Euch noch sagen, dass mir nicht entgangen ist, wie sehr Ihr Euch für die Therapien gegen die Pestilenz interessiert. Nun, ich sagte Euch, meines Wissens nach gibt es kein Allheilmittel dagegen – und ein spezielles erst recht nicht. Dennoch habe ich etwas gefunden, das Eurer Beachtung wert sein dürfte.«
Chamoucha griff in die Tiefen seines Burnus und holte eine kleine Pergamentrolle hervor. »Dies ist die Abschrift einer Originalstelle aus den Reisebeschreibungen des Ibn Batt’uta. Ich nehme an, Ihr wisst, wer Ibn Batt’uta war?«
»Offen gestanden, nein.«
»Nun, eigentlich hieß er Abu Abd Allah Mohammed und ist einer der größten Söhne der Stadt Tanger. Er wurde 682 Jahre nach des Großen Propheten Auswanderung geboren oder, um es in Eurer Zeitrechnung auszudrücken, im Jahre 1304. Ursprünglich wollte er nur auf eine Pilgerfahrt nach Mekka gehen, bereiste dann aber die riesige Landmasse Asia, das Reich der Osmanen, Afrika und die gewaltigen Herrschaftsgebiete der Maharadschas, dazu eine große Insel, die südlich davon liegt und von den Eingeborenen Lanka genannt wird. Es ist das Land der Zimtbäume, der Perlenfischerei und der Teiche, deren Wasser so blau ist, dass daraus Edelsteine gewonnen werden können. In diesem Land besuchte Ibn Batt’uta den Sultan von Ma’bar, einen friedlichen, weisen Mann, der an allen Lebensumständen im Abendlande großes Interesse zeigte. Ich will nicht aufzählen, worüber sie im Einzelnen sprachen, mein lieber Vitus von Campodios, schließlich könnt Ihr es selbst nachlesen, da es sich bei meinem kleinen Geschenk um eine
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