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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Münzamphore geworfen hatte. »Könnt was in den Sätterling fahren, möcht Mansche picken, spachteln, schanzen!«
    Der Magister stöhnte auf. »Essen! Wie kannst du bei der brüllenden Glut nur ans Essen denken, Enano? Ich bekäme keinen einzigen Bissen hinunter.«
    Vitus schaltete sich ein. »Wenn Enano Hunger hat, soll er zu einer der Garküchen gehen und etwas Hirse und Hammel kaufen. Wir können ja später essen, wenn es kühler ist. Vorher brauchen wir allerdings frisches Wasser aus dem Ziehbrunnen. Trinken ist bei der Sonnenglut wichtiger als Essen. Ich werde es selber holen. Mein Bein muss wieder zu Kräften kommen.«
    Vitus war schon bei der Tür, musste aber unvermittelt Halt machen, denn eine junge verschleierte Frau versperrte ihm den Weg. Sie stand vor ihm und schlug züchtig die Augen nieder.
    »Hoppla, fast hätte ich dich über den Haufen gerannt«, entfuhr es Vitus. »Es ist doch wohl nichts passiert?«
    »Nein, Herr.« Die Stimme der jungen Frau war hell und sanft. »Es tut mir Leid, wenn ich dir im Weg war. Ich habe dir eine Mitteilung zu überbringen, hier, nimm.« Sie gab Vitus ein zusammengebundenes, zart nach Rosenwasser duftendes Papier.
    »Nanu, wer sollte mir einen Brief schreiben?« Vitus nestelte das Band ab.
    »Lies nur, dann weißt du es, Herr.«
    »Danke.« Vitus ging zurück ins Haus, um die Zeilen zu studieren. Sie waren von einer gewissen Âmina Efsâneh. Die Dame stellte sich als eine Kaufmannsfrau vor und behauptete, sie leide an der englischen Krankheit. Da sie nun gehört habe, er sei Arzt und komme zudem aus dem Inselreich im Norden, bitte sie um seinen Besuch. Es solle sein Schaden nicht sein.
    Vitus faltete das Papier wieder zusammen. Irgendetwas störte ihn an der Nachricht, er wusste nur nicht, was. Die Begründung, er als Engländer müsse sich am besten mit den Tücken der englischen Krankheit auskennen, klang recht einleuchtend. Dabei hatte das Leiden viele Namen. Man nannte es ebenso Säfteausbruch,
Cupiditas sudoris
oder Schweißsucht. Es kam überall in Europa vor, und niemand wusste, warum es ausgerechnet englische Krankheit hieß. Vielleicht, weil die Symptome zuerst auf der Insel bemerkt worden waren. Das Leiden geht mit Fieberanfällen einher und laugt den Körper auf Dauer völlig aus. Niemand kannte seine genaue Ursache, doch in medizinischen Werken war nachzulesen, dass gesunde, nicht zu fette Kost und frische Luft oft Wunder wirkten.
    Nun, wenn es nicht der Inhalt des Briefes war, dann mochte es vielleicht die Schrift sein, die ihn nachdenklich stimmte. Sie war steil und eigenwillig, verlockend und abstoßend zugleich. Die Buchstaben wirkten, als sitze in ihnen eine verborgene Unruhe.
    »Wer schreibt dir denn?«, wollte der Magister wissen.
    »Eine Kaufmannsfrau. Sie bittet um meinen ärztlichen Beistand.«
    Der kleine Rechtsgelehrte blinzelte. »Was? Hier in Tanger? Woher kennt die Dame dich überhaupt? Und woher weiß sie, dass du Mediziner bist?«
    »Keine Ahnung. Sie schreibt, sie habe gehört, ich sei Arzt. Vielleicht gehört Doktor Chamoucha zu ihrem Bekanntenkreis, und er hat etwas über mich erzählt.«
    »Wenn sie Chamoucha kennt, warum geht sie dann nicht zu ihm?«
    »Ich weiß es nicht. Es ist mir auch gleichgültig. Irgendetwas an dem Fall reizt mich. Ich denke, ich werde die Frau aufsuchen. Will nur noch rasch eine bestimmte Stelle im Werk
De morbis
nachschlagen.«
    »Aber, aber … dein Bein.«
    »Braucht Bewegung. Darin sind Doktor Chamoucha und ich absolut einer Meinung.« Vitus ging zu seiner Kiepe und nahm einen dicken Folianten heraus, der an der offenen Seite durch ein Schloss gesichert war. Er sperrte ihn auf und begann zu blättern. Wie immer vergaß er alles um sich herum, wenn er in dem Buch las. Es war ein kostbares Duplikat des Ursprungswerkes und ein Geschenk von Pater Thomas, dem Arzt und Prior von Campodios.
    Vitus suchte einen Text über die Ursachen des Schwitzens und des Fiebers und hatte ihn alsbald bei Paracelsus gefunden. Es hieß da:
    … wenn die Wasser im Körper erwärmt werden, verdampfen sie und bleiben nicht, sind nicht fix und vereinigen sich nicht mit dem Körper. Ihr Auftreten ist ein Anfall der Kälte, ihr Schwinden ein Anfall der Hitze …
    Vitus schlug das Werk zu. Er hatte sich mehr erhofft, denn jedermann wusste, dass wässriges Schwitzen die Reaktion auf einen überhitzten Körper war. Was blieb, war die Frage, warum der Körper in Hitze geriet, denn auch sie war letztlich ja nur eine Folgeerscheinung der

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