Die Mission des Wanderchirurgen
lateinische Übersetzung handelt, nur so viel: Beide sprachen auch über die Pestilenz sowie ihre Symptome und Therapiemöglichkeiten. Nachdem sie sich darüber klar geworden waren, dass sie über dieselbe Krankheit redeten – Ihr wisst, wie viele Leiden es gibt, die sich durch gleiche oder ähnliche Anzeichen äußern –, klatschte der Sultan in die Hände und befahl seine besten Ärzte zu sich. Er fragte sie nach wirksamen Arzneien gegen die ›Achsel- und Leistenkrankheit‹, wie die Pestilenz in Lanka genannt wird, und bekam nach eingehender Beratung die Antwort, es gebe eine Fülle von Arzneien, sie würden jedoch alle nur die Auswirkungen bekämpfen, nicht aber die eigentliche Krankheit. Das Beste nach Abwägung aller Gesichtspunkte sei Ingwer.«
»Ingwer?« Vitus beugte sich ruckartig vor und verzog das Gesicht. Durch die schnelle Bewegung durchzuckte ein schmerzhafter Stich sein Bein. »Orientalischer Ingwer?«
»So ist es«, bestätigte der arabische Arzt. »Und vom Ingwer der Wurzelstock, von Eingeweihten auch ›Hand‹ genannt. Die Hand sollte fest, prall und nur wenig faserig sein, keinesfalls runzelig. Die Anwendung im Einzelnen könnt Ihr den Worten Ibn Batt’utas selbst entnehmen.« Chamoucha überreichte die Pergamentrolle.
»Ich … ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll!« Vitus ergriff zögernd das Geschenk. »Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für mich bedeutet.«
Chamoucha lächelte. Sein Taktgefühl verbot ihm zu sagen, dass er sehr wohl wusste, wie bedeutsam die Gabe für den jungen Mann war. Der Magister hatte ihm berichtet, dass die Geliebte und zukünftige Frau seines Gegenübers im Jahr zuvor der Pestilenz erlegen war und Vitus von Campodios an ihrem Sterbebett gelobt hatte, seine ganze Kraft daranzusetzen, ein Mittel gegen die alles zerstörende Geißel zu finden. Zu diesem Zweck hatte er sich mit seinen Freunden in England eingeschifft und war auf die Reise gegangen, um die besten Ärzte und klügsten Köpfe der Welt nach einem Arkanum gegen den schwarzen Tod zu befragen. Dabei war ihm in Tanger das Bein zwischen Bordwand und Pier geraten, und er konnte von Glück sagen, dass er sich dabei nur das Schienbein gebrochen hatte und nicht gleich der ganze Unterschenkel abgetrennt worden war.
So hatte er an der Meerenge des Dschebel al-Tarik einen langen unfreiwilligen Aufenthalt einplanen müssen, bei dem ihm zu allem Unglück auch noch seine ganze Barschaft geraubt worden war. Die Folge: Der Magister und der Zwerg mussten seitdem als Geschichtenerzähler auftreten, um sich und den Kranken über Wasser zu halten.
»Lest nur in Ruhe die Beschreibungen Ibn Batt’utas, lieber Vitus, Ihr werdet darin erfahren, dass die pestheilende Kraft des Ingwers auf seine schweißtreibende Wirkung zurückgeführt wird. Mit dem Schweiß verlassen vermutlich auch die Pestsäfte den Körper.«
»Nochmals danke ich Euch. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, Doktor. Schweißtreibender Ingwer! Pestsäfte, die den Körper verlassen! Wie hilflos klingt daneben der Rat des Galenos:
Cito longe fugas et tarde redeas …
« Vitus unterbrach sich, ihm war eingefallen, dass arabische Ärzte nicht unbedingt Latein konnten, und fuhr fort: »Was nichts anderes bedeutet, als dass man flugs Reißaus nehmen und möglichst spät zurückkehren möge!«
Chamoucha wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da wurde die altersschwache Tür aufgerissen. »Zurückkehren? Wer soll zurückkehren? Wenn du uns meinst, Vitus, da sind wir!« Der Magister trat ein, den Zwerg im Gefolge. »Ich sehe, du hast Besuch, das gesammelte Wissen der arabischen Medizin! Seid mir gegrüßt, Doktor Chamoucha!«
Der Zwerg Enano fiel ein: »Duften Jamm, Herr Pulsquetscher! Wui, un auch dem jungen Lord.«
»Und auch dem jungen Lord«, wiederholte grinsend der Magister.
Vitus wehrte ab. »Macht doch nicht immer so ein Aufhebens um mich. Ich habe euch schon oft darum gebeten. Ich werde die Peerswürde erst dann annehmen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass ich wirklich von Adel bin. Im Übrigen dürfte das Doktor Chamoucha auch gar nicht interessieren.«
Wieder wollte Chamoucha zu einer Antwort ansetzen, doch der Magister war schneller. »Woher willst du das wissen, Vitus? Außerdem kann ich dir versichern, dass es zumindest unsere Zuhörer auf dem Markt außerordentlich interessiert. Es klingt eben viel geheimnisvoller, wenn ich die Abenteuer eines jungen Lords erzähle, als die irgendeines hergelaufenen Vitus, das musst du doch
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