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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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bestreiten. Sie müssten eigentlich passen.«
    Er holte ein Paar der seltsamen Schuhe aus einem Sack hervor und präsentierte sie nicht ohne Stolz. »Beste Handwerksware aus Fez, Pater! Ware, die im Übrigen einen weiten Weg hinter sich hat: von Fez auf dem Kamelrücken nach Oran und von dort über das Mittelländische Meer hinüber nach Chioggia und Venedig. Prachtexemplare aus den Werkstätten des Hadschi Moktar Bônali und ein Geschenk unseres Freundes Giancarlo Montella dazu!«
    »Danke«, murmelte Pater Ernesto, der kein Wort verstanden hatte. »Aber, äh, meint Ihr wirklich, ich könnte in diesen gelben …?« Er stellte sich vor, was sein gestrenger Abt Alberto wohl sagen würde, wenn er ihn in diesem Aufzug sähe, und verdrängte den Gedanken lieber schnell. »Das Material scheint mir doch …«
    »Das Material ist über jeden Zweifel erhaben. Ihr seht es an uns, die wir schon Tausende von Meilen darin gegangen sind. Und außerdem, wie heißt es so schön?
Ne sutor supra crepidum.
Was über die Sandale hinausgeht, möge ein Schuster nicht beurteilen, nicht wahr?«
    Ernesto grinste mühsam. »Ich merke schon, mit Eurer Barmherzigkeit ist nicht zu spaßen. Ich werde also Euer Geschenk gerne annehmen und Euch in meine Gebete einschließen. Das gilt natürlich auch für Euch, Cirurgicus. Als Jakobspilger habe ich, wie Ihr wisst, nur meinen Stab, dazu den Kürbis als Flüssigkeitsbehältnis und die Muschel, die mir als Löffel dient.«
    Vitus wollte etwas erwidern, doch der kleine Gelehrte kam ihm zuvor. Er brummte:
»Paupertas non est probo.«
    »Nein, Armut schändet wahrhaftig nicht, Herr Magister«, bestätigte der Pater, »aber wenn Ihr gestattet, habe ich jetzt eine Frage an den Arzt: Verratet mir doch, Cirurgicus, was für eine Salbe Ihr mir soeben appliziert habt.«
    »Es ist die Heilsalbe von Doktor Chamoucha, einem arabischen Arzt aus Tanger.«
    »Doktor Cha … aus Tanger?« Pater Ernesto lehnte sich erstaunt zurück. Wieder ritt ihn die Neugier. »Tanger?«, wiederholte er. »Fez? Oran? Venedig,
La Serenissima?
Lauter viel versprechende, geheimnisumwitterte Namen! Gehören sie auch zu Eurer Geschichte, Cirurgicus? Vergesst nicht, Ihr habt mir versprochen, sie zu erzählen. Ich liebe Geschichten.«
    Vitus lächelte. »Ich habe es nicht vergessen. Doch lasst uns zuvor das gemeinsame Mahl einnehmen. Nachdem wir dem Herrn für Speise und Trank gedankt haben, will ich Euch gerne alles erzählen. Allerdings nicht allein. Der Magister muss mir dabei helfen, sonst vergesse ich die Hälfte.«
    Der kleine Gelehrte blinzelte. »Das will ich gerne tun. Wenn nur meine neuen Berylle etwas schärfer wären! Nicht, dass ich sie zum Berichten brauchte, aber der Glasschleifer aus Genua verstand sein Handwerk wirklich nicht sonderlich gut.«
    »Genua?«, rief der Pater. »Da wart Ihr also auch? Allmächtiger, Señores, Ihr scheint die halbe Welt zu kennen, und ich, ich habe es noch nicht einmal bis Santiago de Compostela geschafft!«
    Vitus lachte. »Alles hat seine Zeit, Pater. Kommt jetzt, der Zwerg dürfte das Essen bereitet haben.«
     
    Viele Stunden später, der andere Morgen dämmerte bereits, war Ernestos Neugier einigermaßen gestillt. Während der Erzählungen, die nicht nur abwechselnd von Vitus und dem Magister, sondern hin und wieder auch von dem Zwerg vorgetragen wurden, war er aus dem Staunen nicht herausgekommen. Schließlich sagte er: »So vieles habt Ihr erleben müssen, Cirurgicus, um nun endlich doch den Beweis für Eure adlige Herkunft vor Augen zu haben. Ich muss gestehen, wenn ich in Eurer Lage wäre, hätte ich keine ruhige Stunde, bevor ich nicht in Campodios weilte. Sagt, warum leiht Ihr Euch nicht irgendwo ein Pferd und prescht voran? Ihr könntet in wenigen Tagen dort sein. Eure Gefährten finden den Weg doch auch so.«
    »Gewiss.« Vitus unterdrückte ein Gähnen. Der Pater war, trotz seiner Verletzung und seines fortgeschrittenen Alters, munter wie ein Reh gewesen, hatte immer wieder nachgefragt, gestaunt, erneut nachgefragt und mit leuchtenden Augen gelauscht. »Gewiss, Pater. Aber das würde ich niemals machen. Niemals. Ich bleibe bei meinen Freunden, und meine Freunde bleiben bei mir. Und wenn Ihr unseren Geschichten aufmerksam zugehört habt, dann wisst Ihr, dass wir es immer so gehalten haben.«
    »Natürlich, natürlich. Wenn es nicht schon so spät wäre, hätte ich es sicher selbst bemerkt.«
    Vitus bemerkte erleichtert, dass nun auch der Gottesmann ausgiebig gähnen musste. Doch

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