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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Krankheit, die sich dahinter verbarg. Und es gab viele Krankheiten, die Fieber verursachten. Viel zu viele. Auch die Pest. Ob der schwarze Tod und die englische Krankheit in einem Zusammenhang standen? War jemand, der die Schweißsucht überlebt hatte, gefeit gegen die Gefahr der Pestilenz? Gab es wissenschaftliche Abhandlungen auf diesem Gebiet? Konnte Ingwer, wenn er wirklich gegen die Pest half, auch die englische Krankheit bekämpfen? Wohl kaum, denn Ingwer wirkte schweißtreibend, und über mangelndes Schwitzen konnten sich die unter Schweißsucht Leidenden wahrlich nicht beklagen. Im Gegenteil …
    Vitus beendete sein Gedankenkarussell, verstaute das Werk wieder in der Kiepe und holte seinen Instrumentenkasten und ein Sortiment Kräuter hervor. »Ich hoffe nicht, dass es lange dauert«, sagte er. »Nachher essen wir alle gemeinsam. Magister, sei so nett und gehe für mich zum Ziehbrunnen.«
    Der kleine Gelehrte grunzte. Das konnte Zustimmung oder Ablehnung bedeuten, doch Vitus achtete nicht weiter darauf. Es war wie immer bei ihm: Wenn jemand seine Hilfe erbat, konnte er nicht nein sagen. Vielleicht ein Fehler, wie manche behaupteten, aber jeder war nun einmal so, wie der Herrgott ihn erschaffen hatte.
    Er schritt zur Tür und stellte zu seiner Überraschung fest, dass die Dienerin noch immer dort auf ihn wartete. »Nanu, du bist ja noch da«, staunte er, »damit hatte ich gar nicht gerechnet.«
    »Wie wolltest du sonst zu meiner Gebieterin finden, Herr?«, entgegnete die junge Frau mit sanftem Augenaufschlag.
    Vitus stutzte. Nicht nur, weil die Überbringerin der Botschaft Recht hatte, sondern auch, weil ihre Antwort fast ein wenig spöttisch geklungen hatte. War sie womöglich mehr als nur eine Dienerin? Er schob die Überlegung beiseite. Wahrscheinlich hatte er sich verhört.
    »Gehen wir«, sagte er.
     
    Âmina Efsâneh blickte sich zufrieden in ihrem Schlafgemach um. Alles schien aufs Schönste vorbereitet. Die Fenster waren abgedunkelt, sanftes Kerzenlicht erhellte den Raum. Die Vorhänge ihres riesigen Pfostenbetts waren zurückgeschlagen und gaben den Blick frei auf ein Meer aus seidenbunten, einladenden Kissen. Sie stammten von dem Diwan, der in einen Nebenraum gerückt worden war, da er für das, was die Gebieterin vorhatte, zu wenig Platz bot. Der Schreibtisch war hinausgeschafft worden und hatte einem viereckigen Eichentisch Platz gemacht, auf dem die verführerischsten Speisen bereitstanden: ein knusprig gebratener Kapaun, der bereits zerlegt worden war und kalt mit einem scharf gewürzten Mus aus Erbsen und Bohnen genossen werden sollte, dazu gebratene Lammkeule mit Minzsauce – eine Verbeugung vor der Herkunft des erwarteten Besuchers –, ferner eine in einem Kräuterbett liegende gedünstete Meerbarbe, in deren Maul drei Datteln steckten, zarte, mundgerechte Häppchen vom Schwertfisch, Muscheln in allen Formen und Größen, dampfend in einem mit Harissa gewürzten Sud, und nicht zuletzt Austern, jene Früchte des Meeres, die so sehr die Kraft eines Mannes zu stärken vermochten.
    Außerdem ein kräftiger Rotwein von der Iberischen Halbinsel, der die Zunge löste und die Dämme brach. Und als Zwischenmahlzeit waren kleine, süße, köstliche Bällchen gedacht, die immer wieder den Appetit anregten – allerdings nicht jenen, der einen Essenswunsch nach sich zog.
    Wo der Engländer nur blieb? Die Dame des Hauses blickte zum wiederholten Male an sich herab. Sie hatte jetzt nicht mehr das indigoblaue Seidengewand mit den weiten Ärmeln an, sondern ein rotes eng geschnittenes, ihre Figur betonendes Kleid, dessen Stoff von feinstem, mit Goldfäden durchzogenem Linnen war. Darunter trug sie nichts.
    Ein herkulisch gebauter Schwarzer betrat das Schlafgemach, zwei hohe Stühle tragend. Es war ein Guinea-Neger, ein Leibeigener, den Chakir Efsâneh für sie auf dem Sklavenmarkt in Tanger zu einem sündhaft teuren Preis erstanden hatte. Der Zeitpunkt des Kaufs lag noch keine zwei Monate zurück, trotzdem war sie des Burschen schon überdrüssig geworden.
    Der Schwarze stellte die Stühle an den Tisch und blieb abwartend stehen.
    Âmina machte eine herrische Handbewegung. »Worauf wartest du noch? Los, verschwinde!«
    Der Riese gehorchte prompt. Die Gebieterin zog verächtlich die Mundwinkel herunter. Der Bursche hatte sich wie erwartet als stark erwiesen, aber nicht als ausdauernd. Auch war er eher lustlos bei der Sache gewesen. Wahrscheinlich, weil er Heimweh hatte, eine Gefühlsregung, die Âmina

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