Die Mission des Wanderchirurgen
anbieten? Ach, ich denke, als Erstes trinken wir einen Schluck Wein. Er ist köstlich, eine andalusische Traube, die nicht verdünnt sein will …« Sie betätigte ein Glöckchen, woraufhin wie aus dem Nichts der Guinea-Neger erschien und den Roten in zwei Pokale füllte.
»Ich trinke auf Euch, Cirurgicus!«
»Und ich auf Eure Gesundheit, die offenbar kaum zu wünschen übrig lässt.«
Die Gebieterin lachte perlend. »Ihr nennt die Dinge beim Namen! Nun, um die Wahrheit zu sagen, ich bin tatsächlich nicht krank, zumindest nicht im üblichen Sinne. Dennoch interessiere ich mich sehr für Medizin.«
»Ihr interessiert Euch für Medizin?«
»Aber ja!«, log die Hausherrin strahlend. »Nicht nur für die arabische, auch für die indische und die des Abendlandes. Ihr als berühmter Arzt wisst doch sicher mehr als jeder andere darüber …« Sie unterbrach sich. »Aber was bin ich nur für eine schlechte Gastgeberin! Nun greift erst einmal kräftig zu.«
»Wie Ihr meint – Âmina.« Der Cirurgicus suchte vergebens nach Löffel oder Messer.
Âmina Efsâneh ließ ihn eine Weile zappeln, dann nahm sie selbst ein paar Bissen mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand, so wie es in der arabischen Welt üblich war. Er tat es ihr nach, klaubte ein Stück von dem Kapaun auf, steckte es in das Mus aus Erbsen und Bohnen und führte es zum Mund. Gleich darauf ging eine Veränderung mit ihm vor. Er würgte krampfhaft, keuchte und lief rot an.
»Oh, Cirurgicus!« Die Gebieterin legte ihre Hand besorgt auf seinen Arm. »Wie dumm von mir! Ich hätte es Euch vorher sagen müssen. Hierzulande mögen wir es scharf. Nehmt rasch noch einen Tropfen von dem Andalusier, doch was sehe ich? Ihr habt ja kaum noch etwas im Glas!«
Das stimmte zwar nicht, hielt sie aber nicht davon ab, erneut das Glöckchen stürmisch zu läuten. »Ngongo, Ngongo! Wo steckst du Faulpelz nur wieder!«
Der Schwarze eilte herbei und schenkte nach. Ein wenig Wein spritzte dabei auf das Tischtuch, eine Ungeschicktheit, welche die Gastgeberin allerdings nicht bemerkte. Sie beobachtete den Cirurgicus, dessen Interesse an dem Sklaven geweckt zu sein schien. Er befahl dem Schwarzen innezuhalten und drehte dessen Kopf so, dass er das linke Auge betrachten konnte.
Âmina Efsâneh wusste genau, warum. »Ich sehe, die seltsame Nickhaut meines Sklaven ist Euch nicht entgangen«, rief sie.
»In der Tat.« Vitus trank einen Schluck. »Das, was Ihr als Nickhaut bezeichnet, nennen wir Ärzte
Pterygium
oder Flügelfell. Wir verstehen darunter ein Phänomen, das an verschiedenen Körperstellen auftreten kann: etwa als Membran zwischen den einzelnen Fingern oder als Gewebe, das über die Nagelplatte wächst oder eben auch als Fell, das zum Teil die Hornhaut des Auges bedeckt.«
Vitus machte eine Pause, dann fuhr er fort: »Das Fell kann so auswuchern, dass die Sehfähigkeit deutlich eingeschränkt ist.«
»Interessant, interessant. Doch kümmert Euch nicht weiter um den Sklaven. Greift lieber kräftig zu und versucht einmal den Schwertfisch. Ich versichere Euch, er ist bei weitem nicht so scharf wie das Mus zum Kapaun.« In Âmina Efsânehs Stimme schwang jetzt leichte Ungeduld mit.
»Wie Ihr wollt.« Vitus gehorchte und stellte fest, dass seine Gastgeberin Recht hatte. Er nahm ein zweites Häppchen, dann ein drittes. »Ihr sagtet vorhin, Eure Vorliebe gelte der Medizin? Welches Gebiet beschäftigt Euch denn am meisten?«
Die Hausherrin tat, als sei sie leicht verlegen. »Welches Gebiet, fragt Ihr? Nun, ich fürchte, es ist ein unerforschtes. Und eines, über das man gemeinhin als Dame nicht spricht. Aber ich will es frei heraus sagen, schließlich seid Ihr Arzt. Es betrifft das Feuer, dass zwischen Mann und Frau brennt. Die Hitze, die eine Frau zum Mann und einen Mann zur Frau treibt, der sehnlichste Wunsch nach immer neuer geschlechtlicher Vereinigung.«
Vitus blickte sie erstaunt an. »Und dieses Thema bewegt Euch?«
Die Gebieterin atmete tief ein. Sie wusste, dass ihre Brüste sich auf diese Weise vorteilhaft unter ihrem Linnengewand abzeichneten. »Ja, sehr«, girrte sie, »was mag in einem Körper vorgehen, der solcherart fühlt?«
Ihr Gast setzte zu einer Entgegnung an, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nehmt eines dieser Bällchen, es besänftigt die brennende Zunge.« Sie beugte sich vor und bot aus der Schüssel mit den Bällchen an.
»Danke.« Vitus griff eines heraus und steckte es in den Mund. »Eure Frage ist schwer zu
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