Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
immer noch mit dieser Gauklertruppe in der Gegend herum, aber ich will nicht ungerecht sein, einmal im Jahr erscheinen sie auf der Bildfläche und haben die Taschen voller Gold. Was ich noch fragen wollte: Die Mönche erzählen, du würdest in England ein Schloss bewohnen? Das ist doch sicher ein frommes Märchen, oder …?«
    Inzwischen waren sie am Tisch angekommen, setzten sich und prosteten einander zu.
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, sagte Vitus.
     
    Mitten in der Nacht erwachte Ana. Wie sie erleichtert feststellte, waren die Schmerzen in ihrem Leib abgeklungen. Zum ersten Mal seit Tagen, dank des Medikamentes, das der Cirurgicus ihr gegeben hatte. Es wirkte lindernd und beruhigend und entspannend. Sie blickte zur Seite. Neben ihr schlief wie immer Orantes, dessen mächtiger Körper unter der Decke wie ein Fels wirkte. Bald würde sie wieder gesund sein. Bald …
    Da hörte sie das Geräusch.
    Es waren Töne, die an das Schluchzen eines Kindes erinnerten. Weinte da etwa eine ihrer Kleinen? Sie lauschte weiter. Ja, da schien jemand heiße Tränen zu vergießen, nebenan, wo die Kinder schliefen. Wer es wohl war? Ana fühlte sich zwar schwach, aber das war jetzt nicht wichtig. Sie musste den Dingen auf den Grund gehen. Langsam erhob sie sich, schlang ein Wolltuch um die Schultern und lief nach drüben. »Wer weint denn hier?«, fragte sie leise.
    Statt einer Antwort verstärkte sich das Schluchzen.
    Ana ging zu der Bettstatt, von der die Geräusche kamen, und stellte zu ihrer Überraschung fest, dass es ihre älteste Tochter war. »Nina?«, fragte sie ungläubig.
    Das Schluchzen hörte für einen Augenblick auf. Nina warf sich herum, so dass sie der Mutter den Rücken zuwandte, und weinte weiter. Ana setzte sich auf den Rand des Bettes und legte ihrer Tochter die Hand auf die Schulter. »Sag mir, was du hast, Kind, damit ich dir helfen kann.«
    »Mir kann keiner helfen.« Ninas Stimme klang störrisch und verheult.
    Ana wollte etwas erwidern, wurde aber von Pedro und Gago daran gehindert, die wach geworden waren und wissen wollten, wer da so ein Geflenne mache. Auch die Mädchen standen nun auf und kamen herüber. »Was ist los, warum weint Nina?«, fragten sie verstört.
    »Das ist nicht so wichtig«, gab Ana zurück. »Ihr geht jetzt alle raus, setzt euch an den großen Tisch neben der Feuerstelle und wartet. Wer will, darf etwas von dem übrig gebliebenen Fladenbrot essen.«
    Die Kinder gehorchten, und Ana konnte sich wieder Nina widmen. Sie kannte ihre Tochter und wusste, wie schwer es manchmal war, etwas aus ihr herauszulocken. Deshalb sagte sie zunächst nichts und fuhr nur fort, ihr über die Schultern zu streicheln. Die erhoffte Wirkung blieb nicht aus, nach einer Weile wurde Nina ruhig. Sie entspannte sich und gab ihre Abwehrhaltung auf.
    Kurz entschlossen legte Ana sich neben sie. »Du kannst mir ruhig das Gesicht zuwenden, dann redet es sich leichter.«
    Nina schniefte und drehte sich um.
    »Siehst du, so ist es besser. Ich kann mich gut daran erinnern, dass wir schon einmal so gelegen haben, das ist bald sechs Jahre her. Du warst damals ähnlich verzweifelt, dachtest, du müsstest sterben, weil du so starke Kopfschmerzen hattest. Dabei war es, wie der Bader festgestellt hatte, nur eine Gehirnerschütterung. Der morsche Balken in der Scheune war auf dich herabgefallen, und du hattest eine Beule wie eine Birne. Wir sprachen darüber, wie es geschehen konnte, und mit dem Sprechen wurde vieles leichter. Weißt du noch?«
    »Hm.«
    »Hier, nimm den Zipfel von meinem Wolltuch und trockne dir die Tränen ab. Ja, so. Ich muss sagen, du hast mir einen gehörigen Schrecken eingejagt.«
    »Wie geht es dir, Mutter? Besser?«
    »Ja, aber das ist jetzt nicht so wichtig. Sag mir, warum du geweint hast.«
    Nina schwieg. Doch dann flüsterte sie: »Es hat keinen Zweck, wenn ich es dir sage. Es würde nichts ändern.«
    »Vielleicht versuchst du es trotzdem?«
    »Nein. Es ist alles so furchtbar.«
    Ana spürte, wie ihrer Tochter abermals die Tränen kamen, und strich ihr sacht übers Haar. »Nicht weinen, Kind, du änderst damit nichts. Nicht weinen.«
    Nina beruhigte sich langsam und kuschelte sich Schutz suchend an die Mutter. In diesem Augenblick war sie wieder ein kleines Mädchen.
    »Und du willst mir wirklich nicht sagen, was dich bedrückt?«
    Sie schüttelte heftig den Kopf.
    »Dann will ich es dir sagen: Ich glaube, du bist verliebt. Alle Anzeichen der letzten Zeit sprechen dafür. Ich habe

Weitere Kostenlose Bücher