Die Mission des Wanderchirurgen
es. Glaubt mir, eine Waffe, die existiert, und sei sie noch so grausam, wird eingesetzt. Und wenn dem so ist, dann lieber von uns als vom Gegner.«
Elisabeth sagte daraufhin nichts. Sie schüttelte nur den Kopf.
»Es ist doch besser, ich töte meine Feinde rasch und schnell, beende einen Krieg dadurch und halte meine eigenen Kämpfer am Leben. Der Zweck heiligt die Mittel, Majestät. Ein Grundsatz, den mein Geheimdienst tagtäglich befolgt.«
Elisabeth erwiderte noch immer nichts. Walsingham war sicher im Recht, aber hatte ein solches Vorgehen noch etwas mit christlichen Werten zu tun? Oder wenigstens mit einem ehrlichen Kampf auf dem Schlachtfeld? Andererseits, welcher Kampf war schon ehrlich?
»Jedenfalls habe ich mir erlaubt, den jungen Collincourt zu Euch zu beordern. Ich habe die Sache dringlich gemacht, weil mit ihm so rasch wie möglich über den Einsatz des Pestflohs gesprochen werden muss. Eigentlich sollte er schon längst in London sein.«
»Einen Augenblick, Francis.« Auf Elisabeths weiß gepuderter Stirn erschien eine Zornesfalte. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr hättet den jungen Collincourt brieflich zu mir zitiert, damit ich mich mit ihm über die Pest als Tötungsmöglichkeit unterhalte? Was mutet Ihr mir zu!«
»Aber, Majestät, ich bitte tausendmal um Vergebung!« Walsingham hob abwehrend die Hände und gab sich zerknirscht. »Selbstverständlich ist alles ganz anders. In dem Brief, den mein Kurier übergeben hat, steht kein Wort über mein Vorhaben. Dafür aber, weit unverfänglicher, dass besagter Hornstaple vor Euch hintreten und das Erbe Greenvale Castle für seinen Mandanten beanspruchen will.«
Elisabeth beruhigte sich. »Nun gut, Francis, ich baue auf Euch und Euer Geschick. Mögt Ihr zuerst mit dem jungen Mann sprechen. Anschließend soll er sich bei mir im Palast melden. Gewiss werden ihm Schloss, Gut und alle Ländereien zugesprochen.«
»Jawohl, Majestät«, sagte Walsingham, der damit begann, seine Unterlagen einzupacken. Er fand, dass die Unterredung mit seiner Königin insgesamt glatt verlaufen war – wenn man von einigen Stolpersteinen absah.
»Ich glaube, der junge Vitus ist der letzte Collincourt, nicht wahr, Francis?«
»Richtig, Majestät. Wenn er nicht aufgetaucht wäre, gäbe es das Geschlecht nicht mehr. Der alte Lord Odo starb anno 77; Thomas, der Sohn seines toten Bruders Richard, lebt ebenfalls nicht mehr. Und über Arlette sprachen wir bereits.«
»Das taten wir.«
»Bleibt eigentlich nur noch eine Frage, Majestät.«
»Ja, Francis?«
»Wie soll ich ihn anreden, wenn er da ist?«
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Die Herrscherin Elisabeth
»Wenn ich den erstaunten Ausdruck in Euren Augen
richtig deute, fragt Ihr Euch jetzt, warum ich Euch
die Peerswürde eines Lords nicht zuerkenne.
Die Antwort ist einfach: Der Titel Lord ist nur dann erblich,
wenn der Betreffende ein Abkömmling in direkter
männlicher Linie ist. Das aber liegt bei Euch nicht vor.«
I hr müsst Euch noch einen Augenblick gedulden«, näselte Walsinghams persönlicher Schreiber, der pergamentgesichtige Mufflin, nun schon zum dritten oder vierten Male. »Sir Francis ist sehr beschäftigt.«
»Aha«, war alles, was Vitus erwiderte. Die Erklärungen Mufflins standen in krassem Gegensatz zur Dringlichkeit der hinter ihm liegenden Reise, an deren Beginn nicht einmal ein Lebewohl von Nina möglich gewesen war.
Morton of Edgehill und er waren erst vor einer halben Stunde in London angekommen, staubbedeckt und dreckverkrustet vom anstrengenden Ritt. Beide hatten sofort nach Whitehall eilen wollen, damit Vitus vor die Königin treten konnte, doch zu ihrer Überraschung hatte ein Beauftragter von Sir Francis sie abgefangen. Edgehill hatte den Befehl bekommen, seinen normalen Dienst wieder aufzunehmen, und Vitus war zu Walsinghams Stadthaus in der Seething Lane beordert worden.
Nun saß er auf einem der prächtigen, brokatbezogenen Stühle, betrachtete die mit kostbaren Teppichen behängten Wände der Vorhalle und hatte nach der hektischen Reise auf einmal sehr viel Zeit.
Was mochte der Staatssekretär von ihm wollen? Er kannte Walsingham nur in seiner Funktion als Parlamentarier, doch kursierten im Volk hartnäckige Gerüchte, er sei viel mehr Spion als Staatsmann – eine geheimnisvolle Macht, die im Hintergrund höchst wirksame Fäden zog.
»Sir Francis lässt bitten.« Mufflin stand gebeugt in der Tür zum Studierzimmer des Hausherrn.
Vitus erhob sich, klopfte nochmals den Staub von seinem Reitmantel und betrat den
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