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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht täusche, habt Ihr geschrieben, der Pestfloh trete bei Pesttoten auf, was, für sich genommen, zunächst wenig überraschend ist. Ihr schreibt ferner, dass bei Kälterwerden des Verstorbenen
Pulex pestis
von ihm lässt und sich ein anderes Opfer sucht. Ist das richtig?«
    »Jawohl, Sir Francis.« Vitus fragte sich, worauf sein Gegenüber hinauswollte.
    »Wenn man also sichergehen will,
Pulex pestis
zu begegnen, muss man nach frischen, noch warmen Pestleichen Ausschau halten?«
    »Ich kann mir kaum vorstellen, dass jemand erpicht darauf wäre, aber dem ist so.«
    Walsingham beugte sich vor. »Ich will nicht länger um den heißen Brei herumreden: Ich bin daran interessiert, hundert, zweihundert, vielleicht fünfhundert Pestflöhe in meinen Besitz zu bringen.«
    »Was sagt Ihr?« Vitus blickte so ungläubig, dass Walsingham sich fragte, ob er ihm in allen Belangen reinen Wein einschenken sollte. Immerhin konnten seine Gedanken zur Pest als Waffe, so sie denn offenbar würden, einen Aufschrei der Entrüstung an allen europäischen Höfen nach sich ziehen. Doch nach kurzer Überlegung entschloss er sich, es zu tun. Die Wahrscheinlichkeit, auf diese Weise voranzukommen, erschien ihm größer als das damit verbundene Risiko.
    »England ist von Feinden umzingelt«, hob er an. »Wir sind zwar ein starkes Volk und unsere Insel schützt uns vor machtgierigen Händen, aber wie heißt es so schön? Viele Hunde sind des Hasen Tod. Die Franzosen sind uns nicht wohlgesinnt, die Schotten, die Iren und die Spanier ebenfalls nicht. Zwar führen wir im Augenblick gegen niemanden offiziell Krieg, aber das kann sich jeden Tag ändern. Ich möchte deshalb meiner Königin eine Waffe an die Hand geben, der keiner widerstehen kann: den Pestfloh.«
    Walsingham machte eine Pause und sah, wie Vitus’ Augen sich vor Schreck weiteten. Aber er hatte einmal angefangen, nun würde er auch zu Ende reden. »Ich beabsichtige,
Pulex pestis
in kleinen Kesseln oder Kapseln zu verwahren und diese Behältnisse unter unsere Feinde zu bringen.«
    »Aber, Sir Francis! Das zu tun, hieße Gott zu versuchen! Die Verseuchung, die Ihr damit auslösen wollt, würde auf Euch und Eure Streiter zurückkommen. Hundertfach, tausendfach! Dem Pestfloh ist es egal, wen er beißt.«
    Walsingham registrierte, dass der junge Collincourt seinen Ideen genauso zweifelnd gegenüberstand wie seine Königin. Sachlich entgegnete er: »Natürlich wäre der Einsatz einer Pestkapsel nur sinnvoll in einem räumlich klar abgegrenzten Gebiet. Beispielsweise in einer belagerten Burg oder in einem geschlossenen Lager oder auf einer Insel.«
    »Ich kann Euch selbstverständlich nicht daran hindern, solche Einsätze ins Auge zu fassen, Sir Francis.« Aus jedem von Vitus’ Worten klang Entrüstung.
    »Aber möglich wären sie?«
    »Nun, ja, sicher. Doch ich möchte Euch noch einmal ausdrücklich auf die Gefahren für die eigenen Truppen hinweisen. Ein unachtsamer Moment, und schon könnten die Flöhe aus ihrem Behältnis entweichen! Bedenkt, ein jeder von ihnen vermag schneller zu springen, als man sehen kann, und höher, als man vermutet. Unterschätzt die Natur nicht! Wenn ein Mensch so hoch wie ein Floh hüpfen wollte, müsste er auf einen Hügel springen, der siebenhundertfünfzig Fuß misst. Deshalb, mit Verlaub, Sir Francis: Lasst ab von diesen Gedanken. Es hängt kein Segen daran. Wie sagte doch der heilige Franz von Assisi:
    Herr, mache mich
    zu einem Instrument Deines Friedens.
    Wo Hass ist, lass mich Liebe säen.
    Wo Unrecht ist, Vergebung.
    Wo Zweifel ist, Glaube.
    Wo Verzweiflung ist, Hoffnung.
    Wo Dunkelheit ist, Licht.
    Wo Trauer ist, Freude …
    Ich nehme an, Ihr kennt das Gebet?«
    »Leider nein.« Walsingham kannte es nicht und wollte auch nicht darauf eingehen. Er hatte erfahren, was er wissen wollte: Dem Einsatz von
Pulex pestis
stand von wissenschaftlicher Seite her nichts im Wege. Alles andere musste der junge Collincourt ihm überlassen. Ebenso wie seine Königin. Und überhaupt: Niemand brauchte zu wissen, wann, wo und bei welcher Gelegenheit er zukünftig seine neue Waffe zur Anwendung bringen würde.
    »Leider nein«, sagte er nochmals. »Ich kenne mich in Gebetstexten nicht sonderlich gut aus. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht im Kloster aufgewachsen bin – wie Ihr.«
    »Ihr scheint viel über mich zu wissen, Sir Francis.«
    »Mehr, als Ihr denkt. Ist Euch eigentlich bekannt, dass der Advocatus Hornstaple bei mir war und behauptet hat, er könne

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