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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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abzulegen. Der Säugling, der in dem roten Tuch lag, war also zweifelsohne Lady Jeans Sohn. Zweitens folgere ich: Es gab auch keine andere Frau, die das Kind vertauschte.«
    »Aber wieso nicht?«
    »Weil es keinen Sinn macht, Majestät.« Walsingham hob den Finger, um die Wichtigkeit des Kommenden zu unterstreichen. »Stellen wir uns vor: Eine andere Mutter geht mit ihrem Kind zum Kloster, um es vor dem Tor abzulegen. Warum tut sie das? Weil sie sich aus irgendeinem Grund von ihm trennen muss. Eine solche Mutter würde doch nie den eigenen Säugling dort lassen und dafür einen fremden mitnehmen, schließlich hätte sie damit nur ihr altes Problem gegen ein neues eingetauscht.«
    »Ihr habt Recht.« Elisabeth nickte, jetzt vollends überzeugt. »Wenn überhaupt, hätten in einem solchen Fall zwei Kinder vor dem Klostertor liegen müssen.«
    »Ich freue mich, dass Eure Majestät das auch so sehen.«
    »Der junge Vitus ist also adlig. Er ist Arzt, außerordentlich tüchtig und darüber hinaus Verfasser eines Buches.«
    »Jawohl, Majestät.«
    »Was ist jetzt mit dem brisanten Inhalt des Buches?«
    »Ich will mich kurz fassen: Neben der Tatsache, dass der junge Collincourt hier ein Werk in ausgezeichnetem Latein geschrieben hat und zu einer ganzen Anzahl brillanter Schlussfolgerungen kommt, ist das wohl wichtigste Ergebnis die Enttarnung des Pestverursachers. Es ist
Pulex pestis,
der vom Verfasser so bezeichnete Pestfloh.«
    »Wie bitte? Ein Floh als Verursacher des schwarzen Todes? Ein kleiner Floh? Ihr scherzt, Francis.«
    »Keineswegs, Majestät. Der kleine Biss eines kleines Flohs hat diese katastrophalen Auswirkungen. Ich kann Euch die Lektüre des Werks nur wärmstens ans Herz legen. Es ist ein Genuss, die logischen Denkschritte des jungen Collincourt nachzuvollziehen, von Kapitel zu Kapitel, bis schließlich wie von selbst das Endergebnis herausfällt. Der Urheber der Geißel ist der Floh. Er allein ist es, der sie überträgt, wenn man von der Ansteckung von Mensch zu Mensch einmal absieht.«
    Walsingham machte eine kurze Pause, um die Bedeutung seiner Worte zu unterstreichen, dann fuhr er fort: »Diese Erkenntnis, Majestät, ist absolut umwälzend. Bedenkt nur die Möglichkeiten: Wenn jedermann beim nächsten Ausbruch der Geißel darauf achtet, dass er nicht mit Flöhen in Berührung kommt, hätte sie sich innerhalb weniger Tage totgelaufen.«
    Elisabeth begann sich mit dem Gedanken anzufreunden. Sie hatte eine sehr gute Auffassungsgabe und ein nicht minder gutes Gedächtnis. Deshalb sagte sie jetzt: »Ihr spracht vorhin aber auch von der Pest als einer unwiderstehlichen Waffe. Ich kenne Euch. Ihr tatet es nicht von ungefähr. Was also hat es damit auf sich?«
    Walsingham fiel es schwer, seinen Stolz zu verbergen, als er antwortete: »Meine Ahnung, die Pest könnte auch bei kriegerischen Auseinandersetzungen von Nutzen sein, erwies sich als richtig, und zwar in jenem Augenblick, als ich das Werk des jungen Collincourt las.«
    »Ich kann Euch nicht folgen.«
    »Wartet nur, Majestät, gleich werdet Ihr verstehen, was ich meine«, erwiderte Walsingham eifrig. »Habt Ihr schon einmal von so genannten Feuertöpfen gehört? Nein? Dann lasst es mich erklären: Feuertöpfe kannten schon die Griechen und Römer. Man verstand darunter eiserne Gefäße, in die man ein Gemisch aus Salpeter und anderen Stoffen tat. Einmal entzündet, war ein solches Feuer nicht mehr zu löschen. Ihr könnt Euch vorstellen, welchen Schrecken, welches Chaos es in den gegnerischen Reihen auslöste. Und nun überlegt einmal, was passieren würde, wenn man das Feuer durch Flöhe ersetzte.«
    »Was würde dann passieren? Ihr werdet es mir gleich sagen.«
    »Gewiss. Ich denke an die vielen Unruhen in Schottland, Majestät. Kaum ein Monat vergeht, ohne dass nicht der Fürst irgendeines Clans sich erhebt und sein Mütchen an unseren Truppen kühlt. Ich sage Euch, solange Maria Stuarts Sohn Jakob im Norden herrscht, haben wir im Süden keine Ruhe. Er kommt eben ganz nach seiner Mutter. Doch ich will nicht abgleiten. Ich stelle mir nur vor, welch schnelle, endgültige Wirkung es hätte, wenn man einen ›Pestflohtopf‹ über die Mauern einer abtrünnigen Burg werfen würde.«
    »Großer Gott! Seid Ihr von Sinnen, Francis? Denkt nur an die armen Frauen und Kinder innerhalb der Mauern!«
    »Ja, Majestät, das tue ich. Und ich stelle mir auch den umgekehrten Fall vor, wenn der Feind eine solche Waffe hätte. Würde er sie gegen uns einsetzen? Er würde

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