Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Kehrseite über einem unförmigen Buckel spannte. Sein Mündchen sah aus wie das eines Fischs, denn er stülpte beim Sprechen seine Lippen vor. »Kau drauf, kau drauf!«
    Zögernd gehorchte der Pascha. Er steckte die Nelken in den Mund und begann vorsichtig darauf herumzubeißen, wobei er den seltsamen Winzling keinen Augenblick aus den Augen ließ. Der jedoch schien sich gar nicht um ihn zu kümmern, sondern kletterte von der Bettstatt herab und sah sich in der Kajüte um. Der Pascha kaute weiter. Das Zeugs, das der Wicht ihm gegeben hatte, schmeckte teuflisch bitter, keineswegs so angenehm süß wie die Feigen, die er sonst zu vertilgen pflegte. Aber, o Wunder, der Schmerz ließ nach!
    »Der Schmerz lässt nach!«, rief der Kommandant und konnte es selbst kaum glauben.
    Der Kleine grinste treuherzig. »Das kannste holmen!«
    »Wie?« Mehmet Pascha hatte nicht verstanden. Aber es war ihm auch egal, solange die Pein verschwand. Er kaute eifrig weiter.
    »Wui, der Duck, der Fetz, isser perdu?«
    »Wie?« Abermals hatte der Pascha nicht verstanden. Aber jetzt, wo der Schmerz fast fort war, klangen die Laute des Winzlings irgendwie lustig. »Ich glaube, der Zahnwurm ist tot!«, rief er.
    »Kalt, blass, moll, gemurkst?«
    »Was heißt denn das nun wieder?«
    »Tot heißt’s, Herr Pischpaschpascha.«
    Der Kommandant musste lachen. So hatte ihn noch niemand genannt, aber auch niemand hätte das jemals gewagt. Bei dem Kleinen da schien es anders zu sein. Der hatte keine Angst, grinste bis über beide Ohren und sagte:
    »Tot heißt’s, Herr Wolkenschieber.«
    »Tot heißt’s, Herr Wolkenschieber«, wiederholte der Pascha. Dann prustete es aus ihm heraus: »Sagtest du ›Wolkenschieber‹ zu mir? Hast du noch andere so feine Ausdrücke für Mehmet Pascha?«
    »Wui, wui, gewisslich doch: Kahnjockler, Mischpocher, Flöhfänger, Rübenschneider …«
    »Harharhar!«, keuchte der Kommandant. »Mehr, mehr!«
    »… Ofenhänger, Glufemichel, Strohputzer, Bosserfetzer, Heringsbändiger …«
    »Harharhar!«
    »… Zwickmann, Plattemacher, Sauerbrunner, Gaffscheiber, Korbekrauter, Stürchenschnalzer, Mackekeiler, Fransenwulstling, Kleebeißer, Hannewackel, Käppelspink …«
    »Hör auf, hör auf! Mehmet Pascha kann nicht mehr. Mehmet Pascha macht sich noch in die Hosen, wenn du nicht aufhörst!« Der Kommandant war auf seine Bettstatt gesunken und hielt sich den Bauch vor Lachen. »Du hast mir wirksame Medizin gegeben und mich überdies zum Lachen gebracht. Dafür will ich dich belohnen.«
    Der Pascha erhob sich, um besser in den Tiefen seines Schalwars graben zu können. Er fand eine Feige und schob sie in den Mund. »Lass mich nachdenken.«
    Eine zweite Feige fand ihren Weg durch das Bartgestrüpp, dann eine dritte. Plötzlich rief der ungeschlachte Mann: »Ich hab’s! Deine Belohnung soll meine Gesellschaft sein. Du darfst bei mir bleiben und sollst mich von nun an täglich in Laune bringen – als Spaßmacher, als Narr und als Hanswurst. Ja, so will ich es! Und dein Titel wird sein: Mehmet Paschas persönlicher Lachmuskelerwecker!«
    Wider Erwarten sagte der Winzling daraufhin nichts, nur tief verneigen tat er sich. Dann hüpfte er schnell an Land und holte einige Habe aufs Schiff. Darunter auch die Kiepe des Cirurgicus mit ihren Instrumenten und Kräutern sowie einen kräftigen, mannshohen Wanderstab.
    Er hatte genau das erreicht, was er wollte.
     
    Bummm … Bummm … Bummm … Bummm … Bummm …
    Der dumpfe Ton der Pauke zog vibrierend durch die Köpfe und prallte auf die Trommelfelle, als würden sie direkt mit dem Schlögel bearbeitet. Vitus beugte sich vor und packte das armdicke Langruder mit den Fäusten. Bummm … Er senkte es ins Wasser. Bummm … Er zog es durch. Bummm … Er hob es wieder an. Bummm … Er beugte sich vor. Bummm … Bummm … Bummm …
    Sein Körper war nass vor Schweiß. Er saß angekettet im Steuerbordbug der
Yildirim,
dicht hinter der Kampfplattform, der Rambate, und betete, es möge Mehmet Pascha nicht einfallen, die Schlagzahl zu erhöhen. Zwölf Schläge in einem Zeitraum, den der Sand in einem Minutenglas brauchte, um durchzulaufen, das war das, was ein gut genährter Mann schaffen konnte, sechzehn waren das Äußerste, und zwanzig Schläge stellten eine so mörderische Belastung dar, dass einem die Augen aus den Höhlen quollen und die Armsehnen rissen. Kein gesunder Mann konnte das länger als wenige Minuten aushalten.
    Doch Vitus war nicht gesund.
    Sein Bein schmerzte

Weitere Kostenlose Bücher