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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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Allah, nur einer! Der würde schon genügen!
    Oder ob Allah es ihm verübelte, dass er in letzter Zeit die Dienste der Hafenschwalben in Tanger zu sehr beansprucht hatte? In der Vierundzwanzigsten Sure des Korans hieß es schließlich:
    »Die Hure und den Hurer, geißelt jeden von beiden mit hundert Hieben; und nicht soll euch Mitleid erfassen zuwider dem Urteil Allahs, so ihr an Allah glaubt und an den Jüngsten Tag. Und eine Anzahl der Gläubigen soll Zeuge ihrer Strafe sein.«
    Mehmet Pascha beschloss, am gleichen Abend in Tanger statt einer Hure eine Moschee aufzusuchen und dort inständig zu beten. Danach mochte ein kleines Festmahl auf der Poop der Ausgleich sein für das Pech, das ihn auch an diesem Tag nicht losgelassen hatte. Er schob seinen schweren Leib würgend und Nase rümpfend die Corsia entlang in Richtung Bug. Heute war es wieder besonders schlimm. Kot, Pisse und Erbrochenes, Schweiß, Blut und Tränen bildeten einen braungelben knöcheltiefen Schlamm am Boden der
Yildirim
 – Ausscheidungen von zweihundertachtzig Galeerensklaven.
    »Vieh! Dummes, stinkendes Christenvieh!« Der Kommandant japste mehrfach wie ein Ertrinkender und schnüffelte an einem Riechfläschchen. Danach fühlte er sich wohler. Er griff in die Weiten seines Schalwars und holte die unvermeidlichen Feigen hervor. Er biss in eine und kaute mit Andacht. Dass er seine Lieblingsfrüchte wieder ohne Reue genießen konnte, verdankte er dem kleinen Kerl, der dort Faxen schneidend am Großmast lehnte: seinem persönlichen Lachmuskelerwecker. Doch zum Lachen war dem Kommandanten nicht zumute.
    Er hielt eine Feige hoch und fragte den Zwerg: »Sind sie auch frisch? Du weißt, Mehmet Pascha schätzt es nicht, wenn man ihn mit alter Ware versorgt.« Er liebte es, sooft wie möglich von sich in der dritten Person zu sprechen, denn irgendwann war ihm zu Ohren gekommen, dass ein gewisser Caesar, der ein großer Feldherr gewesen sein soll, das ebenfalls getan hatte.
    »Das kannste holmen, Wimmerkürbis.«
    »Wie … wie nennst du mich?«
    »Wimmerkürbis, Herr Pischpaschpascha, aber nun pardon, muss den Bachwalm quetschen.«
    »Was … was musst du quetschen?«
    »Wui, den Bachwalm, den Hartmann.« Der Winzling deutete zwischen seine Beine. »Muss Wasser lassen mit’m Gebärvater, Kuhstallfähnrich, Schildkrötkopp, Familienstrumpf, Gießkännchen, Heimtreiber, Schlammjockel, Schieber …«
    Weiter kam er nicht. Das brüllende Gelächter seines Kommandanten hatte ihn unterbrochen: »Bei Allah, Kuhstallfähnrich, Schildkrötkopp, das ist gut, harharhar, das ist gut!«
    So hatte der Tag für Mehmet Pascha, während die
Yildirim
um die Mole herum in den Hafen steuerte, doch noch etwas Erheiterndes gehabt.
     
    Nacht lag über den Wassern von Tanger. Die
Yildirim
dümpelte fest vertäut an der Pier – in ihrem Bauch zweihundertachtzig angekettete Galeerensklaven, die zu Tode erschöpft über ihren Rudern hingen. Die Piratenmannschaft war geschlossen an Land gegangen und machte die Schänken und Bordelle in der Altstadt unsicher.
    Nur Mehmet Pascha und sein Zwerg hielten die Stellung. Wachen taten nicht Not. Schließlich war man in Tanger, am Fuße der Säulen des Herkules, und man war unter sich. Außer der
Yildirim
ankerten im Hafenbecken noch eine Reihe weiterer Piratenschiffe. Eine Krähe hackte der anderen kein Auge aus.
    Der Kommandant thronte auf der Poop und speiste allein. Der Tisch vor ihm bog sich vor Köstlichkeiten, darunter Meeresfrüchte aller Art, gebratene Wachteln, Tauben, Hühnchen, ferner weißes duftendes Brot, süße Kuchen, saftige Käse und natürlich: frisch gepflückte Feigen.
    Unter den hungrigen Blicken der Christen ließ er es sich besonders gut munden. »He, Lachmuskelerwecker, schenk Mehmet Pascha Wein nach. Viel Wein!«, rief er Enano zu. Seine Zunge war bereits schwer. An den Zweiundneunzigsten und Dreiundneunzigsten Vers der Fünften Sure, der da lautete:
    »Oh, ihr, die ihr glaubt, siehe, der Wein, das Spiel, die Opfersteine und die Pfeile sind ein Gräuel von Satans Werk. Meidet sie; vielleicht ergeht es euch wohl. Der Satan will nur zwischen euch Feindschaft und Hass werfen durch Wein und Spiel und euch abwenden von dem Gedanken an Allah und dem Gebet«,
    verschwendete er nicht einen Gedanken. Er fühlte sich müde und etwas schwindelig.
    »Wui, wui, Herr Pischpaschpascha, sofort.« Enano füllte den silbernen Pokal erneut.
    Der Kommandant trank die Hälfte des Bechers auf einen Zug aus, rülpste

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