Die Mission des Wanderchirurgen
verspürte so etwas wie Dankbarkeit, als er an die Dienerin der Kaufmannsfrau Efsâneh dachte, welche ihm so selbstlos zu neuen, kräftigen Kerlen verholfen hatte. Nun ja, ganz so selbstlos vielleicht doch nicht, immerhin hatte sie ihre Hand ziemlich weit aufgehalten, bevor er seine Häscher auf die Burschen ansetzen durfte. Besonders der Neger war ein Prachtexemplar, aber auch der blonde Bursche stand recht gut im Saft. Nur der Kleine mit den seltsamen Glaslinsen vor der Nase, die er sogleich über Bord hatte werfen lassen, hatte wenig Muskeln. Vielleicht aber machte er das durch Ausdauer wett. Auf jeden Fall war die
Yildirim
wieder vollständig besetzt.
Die
Yildirim
. Sie war ein gutes Schiff, wenn auch eines mit bewegter Vergangenheit. Anno 1568, nach Zählweise der Ungläubigen, in Venedig gebaut, war sie zunächst auf
Torcello
getauft worden. Unter diesem Namen hatte sie drei Jahre später, anno 1571, an der Seeschlacht von Lepanto teilgenommen, in der die Heilige Allianz der Christen die Flotte der Osmanen vernichtend schlug. Don Juan d’Austria, der Halbbruder Philipps II . und Befehlshaber der Christenflotte, hatte seine Streitmacht dabei in drei Geschwader gegliedert: die Hauptmacht in der Mitte, die unter seinem persönlichen Kommando stand, den rechten Flügel unter dem Genuesen Gianandrea Doria und den linken, ganz aus venezianischen Galeeren bestehenden, unter Barbarigo.
Im Verlaufe der taktischen Manöver diesseits und jenseits der Kampflinie war es den türkischen Kräften gelungen, den linken Flügel vorübergehend zu umfassen und ihn in arge Bedrängnis zu bringen. Die
Torcello,
die gleich zu Beginn der Schlacht zwei schwere Treffer im Vorschiff erhalten hatte, machte bereits erheblich Wasser, als der Enterkampf begann. Die Janitscharen waren,
»Allah akbar!«
brüllend, an Bord gestürmt, und ihre Krummsäbel hatten blutige Ernte unter den halb Ertrunkenen gehalten. Doch hatten die Osmanen sich nicht lange an ihrer Eroberung freuen können, denn die
Torcello
sank tiefer und tiefer, während sie waidwund nach Norden trieb, bis das Meer schließlich ein Einsehen hatte und sie am Kap Scrophia auf die Klippen warf.
Hier war sie kurz darauf von den Osmanen, die in der Schlacht mehr als hundertfünfzig Schiffe verloren hatten, geborgen und nach Smyrna geschleppt worden, wo man sie aufwendig reparierte und den typischen roten Anstrich der venezianischen Galeere in einen blauen umwandelte. Monate danach, niemand wusste genau zu sagen, wie, war sie in den Besitz von Mehmet Pascha gelangt, der sie fortan
Yildirim
nannte.
Yildirim,
weil er mit ihr und seinen Männern wie der Blitz zwischen seine Feinde fuhr.
»Baaah!«, machte der Kommandant und verzog das Gesicht, als einer seiner Backenzähne sich schmerzhaft meldete. »Das süße Zeugs bringt Mehmet Pascha um.« Er spuckte die halb gekaute Frucht auf die Decksplanken und warf den Rest der Feige hinterher. »Hakan!«
»Jawohl, Mehmet Pascha!« Hakan, der sich am Hauptmast aufgehalten hatte, eilte über die schmale Laufbrücke, Corsia geheißen, zwischen den Ruderern zurück nach achtern und verbeugte sich tief. »Zu Befehl, Mehmet Pascha.«
»Mach das weg!«
»Jawohl.« Mehmet Paschas persönliche Ordonnanz erledigte den Befehl prompt. Er stand in der Gunst des Kommandanten weit oben, und er wollte, dass es in jedem Fall so blieb.
»Ali!« Der Pascha wedelte Hakan mit der Hand fort und drehte den massigen Kopf halb nach hinten, wo der Steuermann an der Pinne stand. »Ich will nicht zu weit auf See hinaus, wie viele Meilen sind wir von Tanger entfernt?«
Tanger, seit nunmehr einhundertacht Jahren portugiesisch, stand unter der schwachen Herrschaft König Heinrichs aus dem Hause Avis, weshalb Philipp II . von Spanien seit geraumer Zeit seine gierigen Hände nach der alten Hafenstadt südlich der Säulen des Herkules ausstreckte. Dieses Machtvakuum nutzte Mehmet Pascha, um hier eine Art Stützpunkt einzurichten, von wo aus er schon wiederholt versucht hatte, eine der dicken Schatzgaleonen zu kapern, die jedes Frühjahr aus Neu-Spanien herüberkamen. Bisher jedoch leider ohne Erfolg.
Ali antwortete in strammem Ton: »Wir haben seit zwei Stunden keine Landsicht, Mehmet Pascha. Es dürfte nicht mehr lange dauern, und wir geraten in die Nord-Süd-Strömung des Westmeers.«
»Dann ist es besser umzukehren.« Der Pascha erhob sich ächzend von seinem mit rotem Samt ausgeschlagenen Kommandantensessel. »Eine Galeere ist nun mal nicht hochseetauglich,
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