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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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selbst wenn sie aus Venedig kommt.«
    »Jawohl, Mehmet Pascha.« Ali blickte starr geradeaus.
    »Doch zuvor werden wir zu Allah beten, wie es sich für jeden anständigen Muselmanen um diese Zeit geziemt.« Der Pascha blickte zum Himmel, um sich nach Osten zu orientieren. Er hätte dazu auch Alis Kompass befragen können, doch es war ihm lieber so. Auch der Prophet hatte sich nicht eines solchen Hilfsmittels bedienen können. »Hakan!«
    »Jawohl, Mehmet Pascha!« Die Ordonnanz brachte den Gebetsteppich des Kommandanten, den dieser höchstpersönlich ausrollte. Alle an Bord, ausgenommen die ungläubigen Rudersklaven, wandten sich nach Osten, dorthin, wo die heilige Stadt Mekka lag, und Mehmet Pascha sprach mit dröhnender Stimme den Text der Ersten Sure, die auch »Die Eröffnende« genannt wird und gen Mekka offenbart wurde:
    »Lob sei Allah, dem Weltenherrn,
    dem Erbarmer, dem Barmherzigen,
    dem König am Tag des Gerichts!
    Dir dienen wir und zu Dir rufen um Hilfe wir.
    Leite uns den rechten Pfad,
    den Pfad derer, denen Du gnädig bist,
    nicht derer, denen Du zürnst, und nicht der Irrenden.«
    Als sie ihr Gebet beendet hatten, richtete der Pascha sich auf. »Und wenn uns nicht bald einer dieser ungläubigen Hunde vor die Geschütze läuft«, knurrte er, »will ich verflucht sein.«
    »Inschallah!«,
murmelte Hakan.
     
    Am Abend desselben Tages ging Mehmet Pascha an Land, kaum dass die
Yildirim
im Hafen von Tanger festgemacht hatte. Ihm stand der Sinn nach frischen Feigen, Dattelschnaps, Huren und üppigem Essen. Genau in dieser Reihenfolge.
    Nach mehreren Stunden – er hatte zweimal seine Gebete versäumt –, traf er wieder an der Pier ein, wo sein Schiff vertäut lag. Da er es nicht gleich fand, ging er immer dem Gestank nach. Schon von weitem begrüßte ihn das Schnarchen der zu Tode erschöpften Christensklaven an den Rudern. Dummes, ungläubiges Pack! Stinkende Körper! Aber sie waren nun einmal notwendig, um seine Galeere voranzutreiben. Er schwankte leicht, rülpste vernehmlich und fischte eine Feige aus der Unergründlichkeit seines Schalwars, eines Beinkleids mit reichlich Raum im Schritt. Er steckte die Frucht in den Mund, kaute – und verspürte alsbald wieder den ziehenden Schmerz im Backenzahn. Übellaunig betrat er die
Yildirim
, den strammen Gruß Alis nicht beachtend. »Wo ist Hakan, der Nichtsnutz?«, herrschte er den Steuermann an.
    »Du hast ihm doch selbst Landgang genehmigt«, erdreistete der Steuermann sich zu erwidern.
    »Ach ja.« Der Pascha ging in seinen Privatraum unterhalb der Poop. Wenn er sich nicht täuschte, gab es da irgendwo noch eine Kalebasse mit Dattelschnaps. Der Koran verbot zwar den Genuss von Alkohol, aber der Zweck heiligte die Mittel. Der Fusel würde helfen, die Schmerzen zu betäuben. Bei seinem nächsten Gebet würde er Allah einfach sagen, dass es sich um ein Besänftigungswasser gegen den Zahnwurm handelte. Wenn er sich recht erinnerte, war es in dem Mahagonischränkchen an der Backbordseite.
    »O Allah, Du Erbarmer, Du Barmherziger, der Du dieser Welt alles Leben gabst, musstest Du unbedingt auch den Zahnwurm, der mich so quält, erschaffen?«, brummte er missmutig, während er leicht schwankend in den Regalen kramte.
    Und zu seinem maßlosen Erschrecken antwortete Allah der Alleinige ihm: »Gickgack, hast’s Reißen im Beißer un Wehchen im Krächling? Wui, kau drauf, kau drauf!«
    Nein! Das konnte Allah nicht sein! Der Pascha fuhr herum und suchte den Raum ab.
    »Wer spricht da zu Mehmet Pascha?«, fragte er, und in seiner Stimme schwang Furcht mit. Er gehörte zu den Männern, die vor nichts Angst haben, doch vor dem Unsichtbaren, dem Unerklärlichen, dem Unheimlichen schlotterten ihm regelmäßig die Knie.
    »Kau drauf, kau drauf!«, ertönte es wieder, und jetzt entdeckte der Pascha eine winzige Hand, die aus den großen Kissen auf seiner Bettstatt hervorlugte. In der Hand befanden sich einige getrocknete Stängel und Knospen, welche der Heilkundige als die der Gewürznelke erkannt hätte.
    Wem gehörte die Hand? Einem Kind? Nein, die seltsame Stimme klang anders, fistelnd, heiser, wie nicht von dieser Welt. Hatte Mehmet Pascha es mit einem Unhold zu tun? Einem Kobold? Einem Troll? Einem Dschinn? Dem Kommandanten lief eine Gänsehaut den Rücken hinunter.
    Da teilten sich die Kissen, und ein Wicht, kaum größer als ein Säugling, kam hervor. Er hatte Haare, so rot, als hätte er sie in Henna getaucht, und trug ein hellblaues Gewand, das sich auf der

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