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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nackt, bis auf einen Schurz. Neben ihm, links, saß Ngongo, ebenfalls dürftig gekleidet, und rechts von ihm zwei Männer, die er nicht kannte. Und ganz außen, direkt an der Bordwand des Schiffs, kauerte – der Magister.
    Vitus wollte seinen Augen nicht trauen.
    »Doch, ich bin’s«, krächzte der kleine Gelehrte. »Sieht so aus, als würde unsere Seereise nach Venedig etwas beschwerlicher werden.« Er grinste schief, blinzelte heftig, denn sein Nasengestell mit den Beryllen war fort, dann deutete er nach vorn auf ein armdickes Langruder. »Man sagte mir, wir müssten es betätigen, und ich fürchte, uns wird nicht viel anderes übrig bleiben.«
    »Großer Gott, wie kommst du nur hierher?« Vitus blickte sich um. Vor ihm, hinter ihm, überall saßen Männer auf Ruderbänken, angekettet, stumm, in sich zusammengesunken. Sie befanden sich auf einer Galeere, und die Galeere lag im Hafen von Tanger. Vitus erkannte es an der Kasbah hoch über der Stadt.
    »Auf Umwegen.« Wieder grinste der kleine Gelehrte, doch Vitus kannte ihn zu gut, um nicht zu wissen, wie es in Wahrheit um ihn bestellt war.
    »Auf Umwegen?«
    »Ja, gewissermaßen. Nachdem du zu der feinen Dame entschwunden warst, um ihr Bericht über die Operation zu erstatten, bin ich ganz normal zu unserem Haus in der Straße der Silberschmiede gegangen, habe ein paar Worte mit Enano gewechselt und mich dann ein wenig aufs Ohr gelegt. Ich weiß nicht genau, wie lange ich in Morpheus’ Armen schlummerte, aber plötzlich standen zwei finstere Gestalten über mir und meinten, ich müsse ihnen unbedingt folgen. Natürlich war ich nicht einverstanden, aber sie hatten ein überzeugendes Argument – zwei Musketen, mit denen sie mir vor der Nase herumfuchtelten. Da bin ich mitgegangen. Was hätte ich anderes tun können? Zum Glück scheint ihnen wenigstens der Zwerg entwischt zu sein. Das Ganze ist erst eine Stunde her. Als sie mich hier anketteten, warst du mit Ngongo schon da. Was ist bloß mit dir passiert, du Unkraut?«
    Trotz der Situation musste Vitus lächeln. Es war eine kleine Ewigkeit her, dass der Magister ihn »Unkraut« genannt hatte. Die Anrede hatte ihren Ursprung im Kerker von Dosvaldes, wo Folterungen an der Tagesordnung waren. Der kleine Mann mit seinem Galgenhumor hatte vor den Torturen der spanischen Inquisition stets »Unkraut vergeht nicht!« gerufen, weshalb Vitus ihn alsbald mit »Du Unkraut!« ansprach. Er seinerseits tat dasselbe mit ihm, denn auch Vitus war grausam gefoltert worden.
    »Was mit mir passiert ist? Wenn ich das nur wüsste. Ich war im Schlafgemach der Âmina Efsâneh, daran kann ich mich erinnern, auch daran, dass ich den Eingriff mehrmals schilderte und dass ich kleine Bällchen aß und dass mir so leicht wurde und dass … nein, daran erinnere ich mich lieber nicht. Aber ich habe so eine Ahnung, als verdankten wir der reichen Kaufmannsfrau unseren Aufenthalt hier.«
    Der kleine Gelehrte blinzelte. »Wieso das?«
    Vitus wollte zu einer Antwort ansetzen, wurde aber durch lautes Rufen und gellende Befehle unterbrochen. Eine Neunschwänzige zischte durch die Luft und traf schmerzhaft seinen Rücken. Es sah so aus, als wolle das Schiff in See stechen. Wieder zischte die Peitsche. Belegtaue wurden von Besatzungsmitgliedern an Bord genommen und sorgfältig aufgeschossen. In die Ruderer kam Leben. Der dumpfe Laut einer Kesselpauke ertönte. Ein langsamer Rhythmus hob an.
    Abermals traf ihn die Neunschwänzige. Hart und unmissverständlich.
    Da griff er nach vorn zum Langruder.
     
    Auf der Poop, dem überdachten Achterschiff der schnittigen Galeere, an deren Heck der arabische Schriftzug
Yildirim
prangte, saß ein ungeschlachter Mann, der süße, getrocknete Feigen in Mengen vertilgte. Sie stammten von einem der vielen Souks in Tanger, wo er noch am selben Morgen gewesen war, und er hatte, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, sogar dafür bezahlt.
    Der Mann hieß Mehmet, ein keineswegs ungewöhnlicher Name im Arabischen, weshalb er Wert darauf legte, mit »Mehmet Pascha« angesprochen zu werden.
    Die Feigen in seiner Hand wurden warm und klebrig. Er nahm eine weitere, biss den Stängel ab und spie ihn über die Reling hinaus ins Meer. Dann verschwand die Frucht im Gestrüpp seines gewaltigen schwarzen Schnauzbarts.
    Während er kaute, wanderten seine Augen über Deck und die zweihundertachtzig Ruderer, die sich rhythmisch zum Schlag der Kesselpauke bewegten. Endlich waren seine Bänke wieder vollzählig besetzt! Mehmet Pascha

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