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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zog fragend die gesunde Augenbraue hoch.
    Ohne sich zu besinnen, krähte der Zwerg dazwischen: »Der eine Gack hat’s rote Scheißen, der andere die Klosterkrätz! Haben alle alleweil die Krätz, alle fünfe!«
    »Woher willst du Schatten eines Dschinns das wissen? Woher kommst du überhaupt?« Es war das erste Mal, das Narbengesicht sich näher für einen Mann interessierte. Krätze hatte er selbst einmal gehabt, und er wusste nur allzu genau, wie scheußlich der nächtelange Juckreiz gewesen war, wie lästig und schmerzhaft das Kratzen an den vielen Stellen, wo die winzigen Milben unter der Haut ihre Gänge bildeten – zwischen den Fingern, an den Handgelenken, unter den Achseln, an Hodensack und Bein. Es hatte ihn wochenlange Behandlung und eine Stange Geld gekostet, die Plage wieder loszuwerden.
    »Bin aus dem Askunesischen, aus den Landen östlich vom Rhein, wenn dir das was sagt, Spaltspähling!«
    »Soso. Zum Rudern jedenfalls taugst du nicht. Wahrscheinlich hast du selbst die Krätze, wenn du schon so gut über diese Männer Bescheid weißt.«
    »Iwo, iwo! Hab aber ’ne Kiepe auf’m Kahn mit Zaubermedizin drin, mit Zaubermedizin! Die frisst die Krätz wie der Hund die Katz!«
    »Was soll das für eine Medizin sein?«
    »Pssst!« Der Wicht rollte mit den Augen. »’s darf niemand nich wissen, nich mal der Große Machöffel, sonst ist’s nix mit der Wirkung! Keckelst du mir die Kiepe nu oder nich?«
    »Meinetwegen.« Narbenauge gab einem seiner Männer einen Wink. »Hol die Kiepe.«
    »Un bring den Stelzknüppel gleich mit«, krähte der Zwerg hinterher.
    Als beides, des Cirurgicus’ Kiepe und sein Wanderstab, herbeigeschafft worden war, deutete der Piratenführer in den rechten Bereich der Halle. »Alle da rüber, du auch, Zwerg, und kurier die Leute von der Krätze, damit sie wenigstens als Haussklaven noch was bringen.«
    »Wui, wui, Spaltspähling!«
    Wieder hatte der kleine rothaarige Wicht genau das erreicht, was er wollte.
     
    Hakan, der nicht mehr Mehmet Paschas Favorit war, weil der Kommandant sich einen Lachmuskelerwecker zugelegt hatte, torkelte aus dem Bordell, das sich im ältesten Teil der Medina befand. Hier in der Altstadt gab es die besten Freudenhäuser. Und dieses, in dem er die letzten Nächte verbracht hatte, war das allerbeste. Es hieß
Quelle der Jadeknospen
und hatte die hübschesten Mädchen überhaupt. In seinen abgedunkelten Gemächern, wo zu jeder Stunde Weihrauch abgebrannt wurde, gab es nicht nur die glutäugigen arabischen Schönheiten, sondern auch blonde Frauen aus nordischen Ländern mit weißer Haut und blauen Augen, mit großen Brüsten, deren Spitzen nicht braun waren, sondern rosig und verlockend. Sogar Jungfrauen wurden an diesem Ort angeboten, selbstverständlich nur selten und selbstverständlich zu sündhaft teuren Preisen. Aber Geld hatte für ihn keine Rolle gespielt, jedenfalls nicht, solange er über seinen Anteil aus der Schatztruhe des Paschas verfügte. Doch der war nun erschöpft. Und plötzlich war er nicht mehr der gern gesehene Gast.
    Laut die Undankbarkeit dieser Welt beklagend, fand er seinen Weg zum Hafen, wo die
Yildirim
an ihrem Platz lag, friedlich und vertraut. Er würde Mehmet Pascha bitten, ihm noch einmal etwas von der Beute zu geben, nur ganz wenig und nur dieses eine Mal. Er würde den Kommandanten daran erinnern, wie lange er ihm schon diente, und ihm versichern, dass er sich immer auf ihn verlassen könne. Viel mehr als auf gewisse andere Kerle, die schnell daherredeten, sonst aber über keine Werte verfügten …
    Hakan steuerte auf die Deckspforte der
Yildirim
zu, passierte sie mit einiger Mühe, da sie ziemlich schmal war, und blieb abrupt stehen. Er musste doch mehr getrunken haben als gedacht, denn was er sah, konnte nicht sein. Er rieb sich die Augen, aber der Eindruck blieb: Die
Yildirim
war leer und verwaist. Keine der Ruderbänke war besetzt, keine einzige, als wäre das Schiff gerade erst auf der Werft zu Wasser gelassen worden. Aber das war es natürlich nicht, allein schon, weil neue Galeeren nicht so bestialisch nach Fäkalien stanken.
    Hakan schüttelte sich wie ein Huhn, das im Sand badet, reckte sich und wankte nach hinten zur Poop. Dorthin hatte Mehmet Pascha die Schatztruhe bringen lassen, und vielleicht war sie ja offen, und vielleicht, ja vielleicht waren auch die Wachtposten verschwunden, wenn schon das ganze Schiff wie leer gefegt war …
    Und dann sah Hakan das Blut. Es war eine große Lache, und mitten in

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