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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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befreien. Er machte vor Freude einen Hüpfer. Der Anführer hatte es offenbar nicht nur auf den Schatz abgesehen. »Knäbbig, knäbbig, Herr Spaltspähling«, ging er auf Narbenauge zu, »der Große Machöffel wird’s dir lohnen!«
    Der Anführer beachtete ihn nicht. Stattdessen rief er zwei seiner Männer heran, die auf den Winzling zutraten und ihn ohne viel Federlesens fesselten. »Seid ihr mall?«, quiekte Enano empört, »bin doch Pirat wie ihr! Bin Knagerling hier auf’m Kahn.«
    Doch sein Protest nützte ihm nichts. Er wurde wie ein Paket an Land getragen – was im Übrigen von nur einem Mann erledigt wurde, der ihn sich wie einen Ballen Stoff unter den Arm geklemmt hatte – und in einen großen, leeren Lagerschuppen gestoßen. Hier blickte er sich beim Schein von mehreren Laternen um. Seltsam kam es ihm vor, was er sah. Im Vordergrund, quer zum Einlasstor, stand ein Stuhl von jener Art, wie Mehmet Pascha ihn als Kommandantensessel benutzt hatte, kostbar gearbeitert und ebenfalls mit rotem Stoff ausgeschlagen. Hinter dem Stuhl war ein Tau zu sehen, das längs gespannt durch den gesamten Schuppen bis zur Rückwand lief. Dieserart wurde der Raum in zwei Hälften geteilt. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
    Enano sollte es bald erfahren. Wenig später erschien Narbenauge und setzte sich auf den roten Sessel, zwei seiner Männer standen neben ihm. Dann begann der Vorbeimarsch der Galeerensklaven. Je eine Ruderbank wurde eingelassen, trat vor Narbenauge hin und wurde eingehend gemustert. Dann und wann gab einer der beiden Männer eine Erläuterung ab. Etwa: »Drei von diesen fünf sind jung, sie dürften es noch eine Weile machen. Die beiden anderen sind zu alt für die Bank.«
    Oder: »Von denen hier haben alle Ekzeme an den Füßen. Haben zu lange in der Scheiße gesessen.«
    Oder: »Der Große ist blind, steht aber gut im Saft, die anderen haben nichts auf den Rippen.«
    Es zeigte sich, dass nach Narbenauges Meinung nahezu jeder der vorgeführten Sklaven tauglich für den Ruderdienst war, egal, in welchem gesundheitlichen Zustand er sich befand. Der Grund lag darin, dass seine Flotte – sie bestand aus vier Galeeren, von denen zwei in Tanger und zwei in Ceuta lagen – dringend neue Sklaven brauchte. Die Kerle starben in letzter Zeit wie die Fliegen, besonders, weil die Winde häufig ausgeblieben waren und sie deshalb den ganzen Tag rudern mussten.
    Die neuen Sklaven wurden in der linken Hälfte des Lagerhauses gesammelt. Die wenigen, die nicht erneut auf die Bank verbannt wurden, kamen nach rechts.
    Die Einteilung zog sich endlos hin. Narbenauge hatte befohlen, backbord und steuerbord jeweils mit der hintersten Ruderbank zu beginnen, dann die davor Sitzenden zu präsentieren und so fort. Im Laufe der Zeit bekam Enano mit, was mit denen passierte, die nach rechts gehen mussten: Sie sollten am anderen Tag auf dem Sklavenmarkt in der Medina verkauft werden. Eine Aussicht, die dem Wicht genauso trübe erschien wie das Schicksal auf der Bank. Sklave blieb Sklave. Einerlei, ob auf See oder an Land. Doch halt, war das wirklich so? Wenn man es recht betrachtete, konnte man an Land nicht mit einem Schiff untergehen. Und die Arbeit als Haussklave war gewiss nicht so anstrengend wie die Plackerei an den Rudern. Emsig begannen seine Gedanken zu kreisen, wie er es am besten anstellen konnte, dass seine Freunde nicht sofort wieder den Frondienst am Langruder versehen mussten. Noch dauerte es, bis Vitus und die Seinen kamen, schließlich besetzten sie ganz vorn die dritte Ruderbank, und diese war eine der Letzten, die drankommen würde.
    Die Zeit verging. Enano bemerkte, dass Narbenauge die Sklaven nicht mehr ganz so unerbittlich nach links schickte, vielleicht, weil er sah, dass die Lücken in seiner Mannschaft allmählich aufgefüllt waren.
    Endlich war es so weit. Mit klopfendem Herzen sah der Wicht, wie Vitus und seine Leidensgefährten in das Lagerhaus hereingeschoben wurden. Wie alle anderen waren auch sie an den Händen gefesselt. Sie traten vor den Tisch, und Vitus wollte das Wort ergreifen, doch einer der neben Narbenauge stehenden Männer kam ihm zuvor. »Das ist die dritte Bank«, erklärte er überflüssigerweise, denn zuvor war die vierte angetreten, und so dumm, dass er nicht zählen konnte, sah Narbenauge nicht aus. Der Stehende erklärte weiter: »Ein Schwarzer, ein Blonder, ein Stummer, ein, äh …« Er stockte, denn er merkte, dass er über die beiden anderen Ruderer nichts wusste.
    Narbenauge

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