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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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entnehmen, dass er den Satz nicht nur so dahergeredet hatte.
    »Oh!« Rabia schlug die Hände vors Gesicht. Nach dem Gebet hatte sie vergessen, sich wieder zu verschleiern! Hastig verhüllte sie sich.
    »Schade«, sagte der kleine Mann, »etwas so Edles sollte man nicht verbergen. Aber jedes Land hat seine eigene Religion, und jede Religion hat ihre eigenen Gesetze. Ich respektiere das.«
    Rabia fiel darauf nichts ein.
    »Sollen wir die Partie zu Ende spielen? Ich übernehme freiwillig Schwarz.«
    Rabia war dankbar für die Frage, denn sie brachte das Gespräch wieder auf neutrales Gebiet. »Ja, gern! Und du musst mir von dem Schloss erzählen. Ist es groß? Wie viele Räume hat es? Wo liegt es?«
    Der Magister lachte. »Sollen wir erst spielen, oder soll ich erst erzählen?«
    »Erzähle erst. Du kannst so gut erzählen.«
    Der kleine Mann blinzelte. »Du willst mich wohl in Verlegenheit bringen? Ich muss zugeben, fast wäre es dir gelungen. Nun ja, also: Das Schloss meines Freundes ist nicht besonders groß, wenn man es mit anderen in England vergleicht. Ich weiß nicht genau, wie viele Zimmer es hat, aber ich glaube, es sind nicht mehr als hundertfünfzig. Doch viele Generationen aus dem Hause der Collincourts haben darin gelebt. Der alte Lord …«
    »So ist der Cirurgicus doch ein Lord?«, unterbrach Rabia lebhaft. »Die Gebieterin sagte, er sei keiner!« Es schickte sich eigentlich nicht für eine Frau, einem Mann das Wort abzuschneiden, aber daran hatte sie im Augenblick nicht gedacht.
    Abermals lachte der Magister. »Natürlich ist er ein Lord, obwohl ein kleiner Restzweifel bleibt. Aber wenn ich dir das näher erkläre, hätte ich das Ende meiner Geschichte aus dem Souk vorweggenommen.«
    »Erzähle. Bitte!«
    »Nun gut, wenn du darauf bestehst. Du musst wissen, dass mein Freund Vitus ein Findelkind war. Der Korb mit dem Säugling lag verborgen in einem Gebüsch vor dem Tor des Klosters Campodios. Der alte Abt Hardinus, also der Klostervorsteher, fand ihn durch Zufall und stellte fest, dass er in ein rotes Damasttuch gewickelt war. Und auf diesem Damasttuch prangte ein goldenes Wappen – ein Zeichen, das niemand kannte. Und doch war es der einzige Hinweis auf die Herkunft des Findelkinds. Zunächst jedoch nahm Abt Hardinus den Säugling in seine Obhut, sorgte dafür, dass er eine exzellente Ausbildung bekam, und ließ ihn darüber hinaus beim Arzt des Klosters zum Cirurgicus und Kräuterkundigen ausbilden.«
    »Ja, das hast du in der Medina von Tanger erzählt. Daran erinnere ich mich. Und auch daran, dass der Cirurgicus einen Starstich durchgeführt hat.«
    »Richtig. Doch bevor der alte Abt starb, das war im März anno 1576, eröffnete er meinem Freund, dass dieser ein Findelkind sei. Vitus war sehr erstaunt, er hatte sich niemals Gedanken über sein Elternhaus gemacht. Der alte Abt und die anderen Mönche waren für ihn Vater und Mutter gewesen. Nun aber wollte er wissen, wie es um seine Herkunft bestellt sei, woraufhin Abt Hardinus ihm nur das rote Damasttuch mit dem goldenen Wappen zeigen konnte. Es musste das Familienwappen meines Freundes sein. Wo allerdings diese Familie ansässig war, wusste niemand. Deshalb verließ Vitus das Kloster, um sich auf die Suche nach seinen Wurzeln zu machen. Auf dieser Suche nun, einem langen Weg durch Nordspanien, erlebte er zahlreiche Abenteuer und geriet unter anderem in die Fänge der Inquisition. Im Kerker von Dosvaldes lernte er meine Wenigkeit kennen: mich, Ramiro García, Magister der Jurisprudenz und ehemaliger Dozent an einer Privatschule in La Coruña.
    Nachdem uns die Flucht gelungen war und wir einen langen Weg, gemeinsam mit Gauklern und Spielleuten, gegangen waren, forschten wir weiter nach dem Ursprung des Wappens. Wir fuhren über das Meer, erlitten Schiffbruch und mussten zahllose andere Abenteuer bestehen, die ich jetzt nicht alle erzählen kann. Schließlich aber kamen wir nach England und spürten dort die Familie der Collincourts auf, die seit Jahrhunderten Träger dieses Zeichens ist.«
    Der Magister machte eine Pause, und auch Rabia schwieg. Sie war wie verzaubert von der Geschichte und fühlte sich an die Erzählungen aus
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erinnert. Schließlich sagte sie: »Und warum gibt es – wie sagtest du? – einen Restzweifel daran, dass der Cirurgicus ein Lord ist?«
    Der Magister blinzelte. »Nun, es ist immerhin möglich, dass der Säugling im Findelkorb vertauscht wurde. In diesem Fall könnte mein Freund Vitus irgendein Kind

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