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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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kein Brustfraß.«
    »Warum heißt es eigentlich Brustfraß?«, fragte Nina, die das Vorgehen des Arztes gebannt verfolgt hatte.
    Thomas antwortete: »Die Lehre der Meisterärzte geht dahin, dass eine tödliche Geschwulst wächst, indem sie sich von dem umliegenden Gewebe nährt. Sie frisst gewissermaßen das Fleisch in ihrer Nachbarschaft auf wie ein Raubfisch die Stichlinge in einem Teich. Deshalb Brustfraß oder auch Fressgeschwulst. Das Böse im Körper wird immer größer, und das Gleichgewicht der Säfte gerät mehr und mehr aus den Fugen. Am Ende herrscht vollständige Diskrasie im Leib; die unvermeidliche Folge ist der Tod. Hier, nun halte die Griffe.«
    Thomas nahm ein scharfes Skalpell und führte einen schnellen, geübten Schnitt halb um den Knoten herum aus. Blut begann zu fließen, doch Nina hielt die Griffe eisern fest. Er sah es mit Genugtuung. Der Eingriff verlangte seine ganze Konzentration. Während er die andere Hälfte unter dem Knoten freilegte, hoffte er, dass die Geschwulst am Unterboden ebenso glatt und flächig sei, dann wäre das Herauslösen ein Kinderspiel, eine saubere Sache, bei der man sicher sein konnte, dass nichts in der Wunde verblieb …
    »Hebe die Zange ein wenig an, meine Tochter, ja, so ist es gut. Noch mehr. Gut.« Mit kleinen Schnitten arbeitete Thomas weiter, und je mehr er vordrang, desto sicherer wurde er, dass der Tumor trotz aller Größe keine Schwierigkeiten machen würde.
    Und so war es. Wenig später hatte er den Fremdkörper mit Stumpf und Stiel herauspräpariert. Er jubelte innerlich, ließ sich aber nichts anmerken. »Lege den Knoten dort in die Schale, und dann hole mir rasch den Kauter aus der Glut, den kleineren, der wird gottlob genügen.«
    Es zischte hässlich, als Thomas den glühenden Kauter in die offene Wunde drückte, doch die martialische Prozedur hatte Erfolg. Der Blutstrom versiegte. Die alte Tonia zuckte mehrmals, keuchte und wurde halbwach. Thomas fuhr ihr beruhigend über die Stirn, während er eine Heilsalbe auftrug. »Es ist überstanden, Abuela, bald sitzt du wieder hinter dem Webstuhl«, sagte er betont munter. »Schließ nur wieder die Augen.«
    Als Nächstes wandte er sich dem Knoten in der Schale zu. Er schnitt ihn mit dem Skalpell an und zog ihn mit zwei Wundhaken auseinander. Dann betrachtete er eingehend die Struktur. Und wurde enttäuscht. Die Masse war von unregelmäßiger graugelber Farbe und damit zweifellos verdächtig. Thomas schüttelte den Kopf. Dann beugte er sich weit vor, um den Geruch aufzunehmen. Auch hier dieselbe Erkenntnis: verdächtig! Hätte er doch besser die große Operation wählen sollen? Müßig, jetzt darüber nachzudenken! Die Geschwulst war heraus, und sie war – böse.
    Ibn Sina fiel ihm ein, jener berühmte arabische Arzt des 11. Jahrhunderts, der in Europa unter dem Namen Avicenna bekannt war. Ibn Sina hatte interessante Beiträge zu Form und Farbe von Fressgeschwülsten verfasst. Thomas war sicher, der Araber wäre in diesem Fall zu derselben Diagnose gekommen.
    Die alte Tonia gab Lebenszeichen von sich. Sie winkte matt mit der Hand. »Seid … Ihr fertig … Vater?«
    »Ja, Abuela, der Übeltäter ist entfernt.«
    »Wird … wird alles gut?«
    Thomas räusperte sich. Das war die Frage, die er befürchtet hatte. Der Tumor war bösartig, das schien klar. Er war zwar entfernt, aber deshalb noch lange nicht besiegt. Alles hing davon ab, ob seine nachwirkende Kraft reichen würde, aus sich selbst heraus wiederzuerstehen. An gleicher oder anderer Stelle. Dann wäre alle ärztliche Kunst vergebens gewesen. »Das liegt in Gottes Hand, Abuela!«, antwortete er.
    »Ja, ja, wie alles.« Die Alte kam jetzt mehr und mehr zu sich. »Aber … wie ist Eure Meinung?«
    Thomas hielt es für wenig wahrscheinlich, dass die Stoffweberin das nächste Weihnachtsfest noch erleben würde, aber das wollte er ihr natürlich nicht sagen. Außerdem gab es immer wieder Wunder, die Gott der Herr bewirkte, und warum sollte er seine gnadenreiche Hand nicht über diese alte Frau halten? Doch genauso gut konnte es sein, dass er sie zu sich nahm. Seine Wege waren unergründlich, sein Wille hatte zu geschehen. »Ich muss dir noch einen Verband anlegen, Abuela«, sagte er. »Nina und ich werden dich aufrichten, damit ich die Binden um deinen Oberkörper wickeln kann.«
    Sie taten es, und als Thomas der Alten unter die Achsel fasste, schrak er innerlich zusammen. Er hatte dort weitere Knoten gefühlt! Kleinere zwar, aber zweifellos

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