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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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der Freunde ein Paar zu schenken, und bestand darauf, dass sie ihre Neuerwerbung sofort überzogen. Wenig später lenkten alle gemeinsam ihre Schritte zum Anwesen des zierlichen Handelsherrn.
    In safrangelben Pantoffeln.
     
    Wie schnell ein gesunder Körper sich erholen kann, wenn er nur ausreichend Nahrung, Wasser und Schlaf bekommt, das zeigte sich auch bei Vitus, dem Magister, dem Zwerg, Ngongo, Alb und Wessel. Sie waren in zwei Räumen im Trakt der Dienerschaft untergekommen, doch sie wurden keineswegs wie Gesinde behandelt. Im Gegenteil, Sîdi Moktar bat sie jeden Tag persönlich an seine Tafel, nicht nur, weil es die Gastfreundschaft gebot, sondern weil er es auch gerne tat. Die Gespräche mit dem Cirurgicus hatten sich als überaus interessant erwiesen, und der Magister und der Zwerg waren ebenfalls von unterhaltsamer Natur. Der Zwerg allerdings war schwer zu verstehen, doch schien er den Schalk im Nacken zu haben und genoss deshalb beim Hausherrn eine Art Narrenfreiheit. Die anderen drei Männer trugen weniger zu den Gesprächen bei, was bei Alb auf der Hand lag und bei Ngongo und Wessel auf ihre geringen Sprachkenntnisse zurückzuführen war.
    »Cirurgicus«, sagte Sîdi Moktar eines Abends bei einer Wasserpfeife, »du hast mir schon viel von deinen Abenteuern berichtet, und ich bewundere, wie du und deine Freunde es verstanden haben, sie immer wieder zu bestehen. Sag mir, welches deiner vielen Erlebnisse hat den tiefsten Eindruck bei dir hinterlassen?«
    »Den tiefsten Eindruck?«, überlegte Vitus laut, während er sich in eines der vielen Seidenkissen zurücksinken ließ. »Nun, das ist schwer zu sagen. Der schönste Moment in meinem bisherigen Leben war wohl der, als ich meine geliebte Arlette nach monatelanger Suche wieder in die Arme schließen konnte. Ich sehe die Situation vor mir, als wäre alles erst gestern geschehen. Wir waren zum Hafen von Habanna geeilt, das ist die Hauptstadt der Insel Kuba, denn wir wussten, dort lag der Segler, auf dem sie sich nach England eingeschifft hatte. Ich glaube, Enano hatte ihn als Erster erspäht, und ich …«
    »Wui, wui!«, fistelte der Wicht, »hab geschallt: ›Da vorn, ihr Gacken! Das is der Kahn! Das musser sein!‹«
    »Richtig«, nickte Vitus, »du zeigtest auf eine mächtige Galeone, die noch am selben Tag ankerauf gehen sollte. Noch war sie allerdings fest an der Pier vertäut. Ein großer Pulk Menschen drängte sich um die Laufbrücke. Kisten, Ballen und Fässer wurden übernommen. Tauwerk und Kanonenkugeln, Ersatzstengen und -segel und natürlich jede Menge Frachtgut.«
    Sîdi Moktar ließ die Shisha unvermittelt aufblubbern. »Um welche Art Frachtgut handelte es sich?«, wollte er wissen. Der Kaufmann in ihm war erwacht.
    »Wenn ich es recht erinnere, um Mahagoniholz, Tabak, Kakao, Tierhäute, Ambra, Zucker und vielerlei mehr.«
    Wieder ein Blubbern. »Die Waren sind mir allesamt bekannt. Nur was Ambra ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Würdest du meiner Unwissenheit ein Ende bereiten?«
    »Aber gern. Wenn ich kann.« Vitus griff in eine Schale mit gesüßten Datteln. »Soviel ich weiß, handelt es sich dabei um eine sehr wohlriechende, wachsähnliche Masse aus dem Körper des Pottwals; sie ist äußerst kostbar und dient als Rohstoff zur Herstellung von Duftwässern und Schönheitsmitteln.
    Doch lass mich weitererzählen: Ambra also wurde auch verladen. Auf dem Anleger selbst hatten sich fahrende Händler ausgebreitet, die noch schnell ein Geschäft machen wollten. Stände mit Leckereien waren aufgeschlagen worden, Gaukler, Possenreißer und Antipodisten traten auf, sogar ein Priester stand da, der mit lauter Stimme den Segen des Herrn auf das Schiff herabflehte. Das Gedränge war so groß, dass ich Arlette nirgendwo entdecken konnte.«
    »Wui, wui, ’s war moll wie auf’m Platz vom Rübenschneider. Dann hab ich se gespäht. Schallen tat ich: Da! Die Schöne inner grünen Schale, das isse, das isse, ich wett meinen Kürbis, dasse ’s is!«
    »Stimmt«, bestätigte Vitus. »Gleich darauf sah ich sie auch. Sie trug ein salamandergrünes Kleid und hatte einen Träger dabei. Ich stürzte los und hinein in die Menge. Ich fürchte, ich war nicht besonders rücksichtsvoll, sondern drückte, schob und drängte mich durch die Massen, wurde beschimpft und bedroht, doch ich kümmerte mich nicht darum. Auf der Laufbrücke hatte ich sie fast eingeholt und rief ihren Namen. Sie hatte den Ruf gehört, doch sie entdeckte mich nicht. ›Warte, ich komme, ich

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