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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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zierliche Handelsherr hörte mit immer größerer Anteilnahme zu. »Ja«, sagte er am Schluss, »die Gebieterin Âmina hat den Schoß voller Hitze, das ist landauf, landab bekannt. Ebenso wie ihre Rachsucht. Ich weiß es zum Glück nur vom Hörensagen. Auch mein Freund Abdel Ubaidi hatte das Glück, niemals in ihre Fänge zu geraten. Umso mehr freue ich mich, dass er jetzt auf Freiersfüßen geht.«
    Der Magister beugte sich vor: »Auf Freiersfüßen, sagtest du? Wen will er denn heiraten?«
    »Die Dienerin Rabia, eine junge Frau, die, wie er mir versicherte, zum Gesinde der Herrin Âmina gehört und überall im Hauspalast wohl gelitten ist. Ich weiß nicht, ob Sîdi Chakir ihr eine Mitgift schenkt, aber sie scheint eine gute Partie zu sein. Sie soll ein sanftes Wesen und einen klaren Verstand haben, dazu lesen und schreiben können und überdies sogar das Schachspiel beherrschen.«
    »Das kann ich bestätigen«, rief der Magister. »Sie ist sehr gut.«
    »Ja, ja«, sagte Sîdi Moktar gedankenschwer. Er wusste nun, dass die Freunde als Sklaven nach Fez gekommen waren, zusammen mit der Karawane des Hadschi Abdel Ubaidi, seines Freundes, der ihm alles über die Reise erzählt hatte. Der ihm die Lupe mitgebracht und mit ihm um die Waren gefeilscht hatte, ja, der ihm sogar anvertraut hatte, dass er zu heiraten beabsichtigte. Nur eines hatte er verschwiegen: dass er Sklaven mit sich geführt hatte. Stattdessen hatte er sich nach Aziz el-Mamud, dem Oberaufseher der Palmenhaine, erkundigt und sich mit der Auskunft, dieser sei verschüttet worden, nicht zufrieden gegeben, sondern weitergebohrt, ob er der einzige Tote gewesen sei. Als er erfahren hatte, dass dies durchaus nicht der Fall sein musste, dass vielmehr auch Arbeitssklaven umgekommen sein konnten, hatte er recht zufrieden dreingeblickt und plötzlich das Thema gewechselt. Warum?
    Sîdi Moktar brauchte nicht lange zu überlegen. Er zählte eins und eins zusammen und wusste, dass der Khabir den Cirurgicus und seine Freunde freigelassen hatte und dass er Chakir Efsâneh sagen würde, sie seien zusammen mit dem Oberaufseher in den Foggara tödlich verunglückt …
    »Wirst du uns verraten?« Plötzlich unterbrach der blonde Arzt die Überlegungen von Sîdi Moktar.
    »Kannst du Gedanken lesen, Cirurgicus?«
    »Nein. Aber in dem Moment, als ich nachhakte, ob du mit Hadschi Abdel Ubaidi den Khabir meintest, war mir klar, dass unser Gespräch diesen Verlauf nehmen musste. Ich konnte meine Frage allerdings nicht mehr rückgängig machen. Ich hätte dich im Folgenden höchstens anlügen können, aber das wollte ich auch nicht. Wirst du uns verraten, Sîdi Moktar?«
    Der zierliche Handelsherr stellte sein Rauchgerät beiseite. »Die Wasserpfeife schmeckt nicht mehr. Vielleicht liegt es am Opium, vielleicht auch am Rosenwasser. Wahrscheinlich am Rosenwasser. Ich werde es demnächst mit Tamariskenblüten versuchen, das ist auch billiger. Was hattest du mich gefragt? Ob ich euch verraten werde? Die Antwort ist nein.«
    Er wischte sich über den Mund und fuhr fort: »Erstens, weil euch Unrecht geschehen ist, zweitens – und das wiegt schwerer –, weil ihr meine Gäste seid. Solange ihr an meiner Tafel sitzt, steht ihr unter meinem persönlichen Schutz. Die ehernen Gesetze wollen es so.«
    Sîdi Moktar zog die Wasserpfeife wieder heran, ohne sich dessen bewusst zu sein, und begann abermals zu rauchen. »Schon als ich euch beim Gerber begegnete, ahnte ich, dass ich es nicht mit gewöhnlichen Bettlern zu tun hatte. Nun hat sich herausgestellt, dass ihr Sklaven wart – oder seid, je nachdem, von welcher Seite aus man es betrachtet. Nein, verraten werde ich euch nicht. Dennoch, und das muss ich trotz aller Gastlichkeit sagen, könnt ihr nicht bis zum Jüngsten Tag bei mir bleiben. Irgendwann werdet ihr meinen Herd verlassen müssen, und dann wird sich herausstellen, wer alles in der Herberge
al-Haqq
euch als Sklaven gesehen hat. Wer immer euch wiedererkennt und anzeigt – die Soldaten des Sultans werden nicht zögern, euch festzunehmen. Was danach geschieht, wird dich, Cirurgicus, und dich, Magister, an den Kerker in Dosvaldes erinnern.«
    »Wui, un was tarrt das nu zinken, Buntmann?«, fistelte der Zwerg.
    »Wie? Was meinst du?«
    Der Magister half aus: »Enano fragt, was das für uns bedeutet.«
    »Darüber will ich nachdenken, meine Freunde. Noch ist nicht aller Tage Abend. Heute allerdings ist es spät geworden, ich möchte meinen Teppich ausrollen. Entschuldigt mich

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